BlogPhilippinen III

Philippinen III

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Fortsetzung von Teil I und Teil II.
Der zweite, volle Tag bricht an. Und das Wetter sieht schlecht aus. Von der Stadt habe ich erstmal genug, und ich bin eigentlich auch nicht hier, um von einer Riesenstadt zur nächsten Riesenstadt zu reisen. Ich bin wegen der Vulkane hier. Und heute soll es der Taal-Vulkan sein. Das Konzept ist einfach: Großer See auf einer Insel (Luzon). Im See auf der Insel: Eine Insel. Der Taal-Vulkan. In der Insel auf dem See auf der Insel: Ein See. Auf dem See auf der Insel im See auf der Insel: Eine winzige Insel. Ganz einfach, eigentlich. Ich hatte mich in der Nacht zuvor beim Hotelpersonal dazu erkundigt: Wieviel würde es kosten, ein Auto nebst Fahrer zu mieten, der mich zum Vulkan bringt. 4,000 Pesos (also rund 80 Euro) war die Antwort, aber die relativ kurze Entfernung (70 km) und ein bisschen Abenteuerlust liessen mich zu dem Entschluß hinreißen, das ganze selbst in Angriff zu nehmen. Wenn man zum Taal-Vulkan will, muss man erstmal nach Tagaytay. Busse dorthin fahren vom Busbahnhof in Pasay (technisch gesehen nicht mehr Manila, sondern eine eigene Stadt).
Vorher heißt es Frühstück fassen. Dieses Mal habe ich „Würstchen“ und „Toastbrot“ angekreuzt. Die Würstchen sind mir sehr suspekt und das Toastbrot… nun ja. Dann schnappe ich mir ein Taxi, das mich zum Busbahnhof in Pasay bringen soll. „Hast Du ein Taxameter?“ frage ich den Fahrer. Er grinst und sagt ja. Kaum sitze ich, sehe ich auch das Taxameter – natürlich ausgeschaltet. Er will es auch nicht anschalten. Wir einigen uns auf 200 Peso. Er beginnt, mich auszufragen – woher, wohin, wieso, weshalb. Er erklärt mir leidenschaftlich, warum ich nicht mit dem Bus fahren soll. „Schläfst Du gern im Bus? Dann ist ruckzuck Dein Gepäck weg!“. Natürlich kennt er die Alternative: Für 2’000 Peso kann er mich zum Vulkan bringen. Der Verkehr wird derweilen immer zäher, und die Zeit sehe ich davonrinnen. Also lenke ich irgendwann ein und sage: „Wenn 1’500 Pesos ok sind, dann bring mich zum Vulkan“. Er sagt „1’800“. Ich sage „1’500“. Er sagt „Na gut.“
Also geht es mit dem Taxi am Busbahnhof vorbei durch ein hochmodernes Gewerbegebiet mit der nagelneuen „Mall of Asia“, an den Flughäfen vorbei, durch Slums und erneut an modernen Einkaufszentren vorbei immer weiter Richtung Süden. Der Verkehr ist streckenweise ein Alptraum – Himmel und Hölle sind in Bewegung. Auffällig sind zahlreiche kleine Kirchen, manche sehen eher aus wie ein umgewandelter Schuppen. Überall kann man lesen, wie lieb einen Gott hat und wie lieb die Menschen wiederum Jesus haben. Die nagelneuen Einkaufszentren und all die vielen, kleinen Händler, vor allem in den Slums, fallen ebenfalls auf. Ich mache mir so langsam Sorgen: Wird denn in diesem Land auch etwas produziert? Oder nur konsumiert? Jeder Zweite scheint irgendwie damit beschäftigt zu sein, irgendwas zu verkaufen. Davon wird man als Autofahrer oder Buspassagier nicht verschont, da an vielen Ampeln wahrhaftig fliegende Verkäufer ihre 10-Peso Snacks und was auch immer verkaufen.

Fliegender Händler beim Besteigen eines Busses

Nach mehr als zwei Stunden kommen wir endlich in Tagaytay an. Ein kleiner Ort, wie es scheint, und der Fahrer hält an der Rotunda, einem Verkehrskreisel mit einem deplatziert wirkenden Weihnachtsmann in der Mitte. Ach ja, es ist ja Weihnachten. Der Fahrer sagt „one thousand eight hundred pesos please“, aber ich erinnere ihn dezent an unser „agreement“ und gebe ihm 1’500 Pesos – und kein Trinkgeld, denn ich bin mir sehr sicher, dass ich weit mehr bezahle als üblich.
Mir bleiben nach dem Aussteigen nur eins, zwei Sekunden Zeit, mich über die angenehm kühle und überraschend klare Luft zu wundern, denn sofort werde ich von guides bestürmt, die mich mit ihrem Tricycle sonstwohin bringen wollen. Alles, was ich jedoch erstmal will, ist ein paar Minuten Ruhe und etwas zu trinken. Also sage ich den Leuten „not now“. Einer bleibt hartnäckig, aber ich erkläre ihm noch mal, dass ich erstmal meine Ruhe haben will. Nun wird er etwas unwirsch und ruft mir irgendwas hinterher, was ich bestimmt nicht übersetzt haben möchte. Sieh an. Das Gros der Filipinos, die ich bisher getroffen habe, war einfach nur nett, aber natürlich gibt es auch hier Ausnahmen. Erstmal kaufe ich also etwas zu trinken und gehe dann zu einer Ballustrade, von der man einen schönen Blick über den Vulkansee hat. Beziehungsweise hätte haben sollen, denn das Wetter ist sehr durchwachsen, Teile der Kraterwand sind wolkenverhangen (eigentlich ist der komplette See ein alter, gigantischer Krater). Dem Wetter entsprechend gibt es kaum Besucher ausser mir, und das erklärt auch die Ungeduld des Tricyclisten Minuten vorher. Wenn man den ganze Tag umsonst auf Beute, ähm, Kunden wartet und dann abgebürstet wird, ist das sicherlich frustrierend.
Gefangen im Tricycle-Beiwagen oder Dezentes Selbstportrait

Wie immer laufe ich erstmal los, aber mir kommen schnell Zweifel, denn ich habe keine Karte, das Seeufer scheint etliche Kilometer entfernt zu sein und es sieht nach Regen aus. Ein Tricycle fährt an mir vorbei, vorsichtig Blickkontakt suchend, und ich deute mit einem Nicken an, dass ich interessiert bin. Das ist fast wie bei der Balz. Ich sage ihm, dass ich zum Ufer möchte – dorthin, wo die Boote zur Insel abfahren. Tricycles haben keine Taxameter – man muss den Preis aushandeln. Er sagt 200 Pesos, und ich habe keinen Schimmer, ob das ehrlich ist oder nicht, aber der See ist wirklich etliche Kilometer entfernt und liegt weit unten, und 4 Euro sind nicht die Welt, also sage ich einfach ja. Und zwänge mich in das kleine Aluminiumgerüst, dass da selbstgebastelt und wie eine Seepocke an dem billigen chinesischen Kreidlerverschnitt klebt. Nein, einen Unfall möchte ich mit dem Ding nicht erleben – ein kleiner Zusammenstoß von der Seite, und es bleibt dem Bestatter nichts anderes übrig, das arme Opfer gleich in der Aluminiumverschalung zu beerdigen.
Mit einem Ferrari-Tricycle unterwegs

Wie es sich umgehend herausstellt, bin ich natürlich in die falsche Richtung gelaufen. Er fährt ein paar hundert Meter zurück, tankt erstmal gemächlich und dann geht es nur noch abwärts, immer die Serpentinen herunter. Vor jeder Kurve hupt er wie besessen, was zwar nach der 100sten Kurve nervt, aber mir immer noch lieber ist, als in einer Aluminiumdose beerdigt zu werden. Es müssen so um die 15 Kilometer sein, bis wir an einem beschaulichen Ort namens Talisay am Seeufer ankommen. Er fährt weiter zum Ufer – dort stehen Holzhütten herum und ein paar bunte Boote liegen im Wasser. Das ganze ist gleichzeitig ein Restaurant. Angestellte kommen auf mich zu, und schnell erklärt mir jemand, dass heute keine Boote fahren. Wetter schlecht – keine Boote. Die Polizei wacht darüber. Tja, dumm gelaufen, aber ob ich etwas essen möchte? Klar, warum nicht. Hunger habe ich reichlich.
Die Vulkaninsel. Mit Boot. Mal fahren sie, mal nicht...

Neben mir gibt es noch einen anderen Ausländer mit philippinischer Begleitung. Der Tricycle-Fahrer ist mittlerweilen nicht faul und deutet an, dass er mich auch zurückfahren kann – wann immer ich möchte. Er ist ein angenehmer Zeitgenosse, sehr freundlich und kein bisschen aufdringlich. Er erklärt mir ein paar Sachen über den See und den Vulkan und das Leben schlechthin. Ich stehe jedenfalls noch eine Weile dumm unter den Palmen am Wasser rum und schaue zum Vulkan herüber, der da, ziemlich klein und kompakt, aus dem See ragt. Also auf ein anderes Mal. Die Restaurantfachkräfte sind derweilen wieder verschwunden, aber irgendwann bekomme ich jemanden zu fassen, und frage, wo denn nun die Speisekarte sei, die man mir vorhin bringen wollte. Mir wird daraufhin kurz und knapp erklärt, dass die Köche nicht kochen wollen, da ja keine Gäste da sind. Aha. Weiter zu warten bringt nicht viel, zumal es leicht zu regnen anfängt. Der Tricycle-Fahrer meinte zuvor, dass er mich für ingesamt 500 Peso wieder hochfährt. Einfache Fahrt 200, Hin- und Rückfahrt 500? Das geht nicht so recht auf, aber was soll’s. Wahrscheinlich würde er das ganze damit begründen, dass es hinzu ja nur bergab fährt (währenddessen er tatsächlich gelegentlich den Motor abstellte). Immerhin wartete er ja auch geduldig. Also geht es wieder hoch. Zwischendurch hält er an einer Stelle mit sagenhafter Aussicht über den See an, und dafür bin ich ihm sehr dankbar. Er versucht zudem, mich zu vertrösten: Komme einfach wieder, und hier ist meine Telefonnummer – ruf mich vorher an, und ich kann Dir sagen, ob die Boote fahren oder nicht. Soso. Dann hättest Du das ja womöglich heute auch vorher sagen können! Aber ich kann es ihm nicht verübeln.
Blick auf einen Teil des Vulkan-Sees mit Insel

Wieder oben angekommen, setze ich mich – recht hungrig nun – in ein Restaurant und wähle aus der zum Glück mit Bildern bestückten Speisekarte – ohne Preise, wohlgemerkt – etwas aus, dass gut aussieht. Was es genau ist, sieht man nicht so richtig, aber es wird ein gebackenes Schweinebein. Mit einer Tunke aus Sojasauce, Chili, Knoblauch, Essig… und einer großen Portion Reis. Der Kellner grinst mich an: „Might be quite a lot for one person“. Na schönen Dank auch! Ein ganzes Schweinebein mit einer Riesenportion trockenen Reis‘ – ja, das könnte in der Tat eng werden. Während ich esse, grübele ich: Soll ich mir den Rest einpacken lassen und mit nach Manila nehmen und jemanden dort auf der Straße geben? Ich verwerfe den Gedanken wieder. Wird bestimmt auch hier nicht weggeworfen.
Nach dem oppulenten Mahl – gerade mal die Hälfte war machbar – bin ich fest entschlossen, dieses Mal mit dem Bus zurückzufahren. Und siehe da, ich laufe nicht mal eine Minute, als ein Bus an mir vorbeifährt und der Fahrgastfänger mir zuruft: „Pasay! Manila!!!“. Ich steige ein und bezahle kurz nach dem Einsteigen – 80 Peso. Zum Vergleich – Taxi: 1’500 Peso. Und der Bus sollte nicht wesentlich langsamer sein. Ich stehe auch nur ein paar Minuten, bis ein Platz frei wird. Neben mir setzt sich kurz darauf eine bebrillte, ca. 50 Jahre alte Frau ein, die sofort ein Gespräch beginnt. Auch sie ist eine Frohnatur und plaudert munter vor sich hin. Auch sie ist ein durchaus angenehmer Gesprächspartner mit viel Humor. Und ich solle doch unbedingt mal ihren Neffen in Japan besuchen, der dort Gebrauchtwagen verkauft. Und hier ist mein Name, und finde mich doch auf Facebook! und und und.
Es ist schon fast 6 Uhr abends und dunkel, als wir im Busbahnhof von Pasay EDSA ankommen – ein brodelndes Gemenge aus tausenden Menschen, hunderten Imbissständen und unzähligen Bussen. Ein großes Areal, in dem es fast unmöglich erscheint, den richtigen Bus zu finden. Irgendwie kämpfe ich mich durch die Menschenmassen zur Hochbahn. Das ganze gleicht einem Ameisenhaufen, aber wenn man sich in der Menge treiben läßt, kommt man schon irgendwie durch. Mit der Hochbahn geht es schließlich in recht kurzer Zeit in Hotelnähe.
Merke: Schweinebein kann gut schmecken - ist aber etwas viel für eine Person

Und gleich geht es weiter – erst zu einem Café namens 1951, das vorher wohl als Penguin Café bekannt war. Ein sehr schön ausgestaltetes Café / Restaurant mit viel Kunst und gediegener Atmosphäre – vor allem, da kaum Gäste da sind. Ein Ort der Ruhe, wie man ihn in Downtown Manila wirklich suchen muss. Ich gönne der philippinischen Küche bei der Gelegenheit eine Pause und bestelle Quesadillas, und die sind gar nicht mal schlecht. Den Abend lasse ich in einer Musikbar namens Ka Freddie’s ausklingen. Auch dort ist es sehr ruhig – wahrscheinlich, weil man 100 Peso Eintritt zahlen muss und ein Bier 120 Peso kostet (in vielen anderen Kneipen in der Gegend kostet ein Bier hingegen nur knapp 40 Peso). Wie auch am Vortag in einer anderen Tränke treffe ich auf Deutsche – überhaupt soll ich in Manila schließlich weit mehr Deutsche als alles andere treffen. Soll mir recht sein – in Japan habe ich so gut wie gar nicht mit Landsleuten zu tun.
Den Weg zum Hotel finde ich nachts nun schon mit verbundenen Augen. Die Prostituierten auf dem Weg dorthin sind zum Glück auch nicht zu aufdringlich – als beste Waffe erscheint mir die folgende Unterhaltung:
„Sorry, not interested“ – „But why?“ – „Because I’m married“
Ha, als ob alle Freier unverheiratet wären! Aber der Satz klingt so schön treudoof, dass ich nie eine Widerrede gehört habe. Und die Begründung ist noch nicht mal gelogen. Auch wenn sie treudoof klingen mag.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

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