BlogPhilippinen II

Philippinen II

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Fortsetzung von Philippinen I.
Da bricht er also an, mein erster Morgen auf den Philippinen. Der Morgen ist schwer als solcher erkennbar, da das Fenster im Hotelzimmer so klein ist, aber das hat seine Richtigkeit: Wäre es größer, wäre es heißer und lauter im Hotelzimmer. Ich schlurfe den Gang entlang und die Treppen herunter zum Hotelrestaurant. Unterwegs begegne ich einem halben Dutzend Hotelangestellten an allen Ecken und Enden, die mir alle lächelnd ein „G’morning, Sir!“ an den Kopf werfen. Wie schön – so fühlt man sich also als Neo-Kolonialist. Auf mein im Preis enthaltenes Frühstück muss ich nicht lange warten. Auf der am Vorabend eingereichten „Frühstückswunschliste“, auf der ich meine Preferenzen ankreuzen sollte, hatte ich „Gebratenes Rindfleisch“ und „Knoblauchreis“ angekreuzt, dazu Kaffee, denn wenn man schon mal hier ist, will man ja schließlich was einheimisches probieren.
Leider bin ich aufgrund meiner vielen Jahre in Japan in Sachen Reis sensibilisiert: Der Reis schmeckt kaum nach etwas und kann problemlos die dereinst in Deutschland so oft propagierte „Uncle Ben’s Gabelprobe“ bestehen, nach der Reiskorn für Reiskorn einzeln von der Gabel fällt. Dazu gebratene Rindfleischfetzen – ohne Sauce. Und die Reisportion war riesig. Körniger Reis ohne Sauce also. Ich werde wohl nach Alternativen Ausschau halten, auch wenn das Fleisch in Ordnung ist. Der Kaffee hingegen schmeckt wie Knüppel auf den Kopf, aber das ist nach ein paar Bissen Knoblauchfleisch sowieso irrelevant.

Rizal-Park

Es geht raus ins versmogte, heiße Manila. Nach zahllosen Reisen bin ich noch immer der festen Überzeugung, dass man einen Ort nur verstehen lernt, wenn man ihn sich erläuft. Sicher könnte ich mit Taxi oder Jeepney oder Tricycle (Motorradtaxi mit selbstgebasteltem Beiwagen) von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit hechten – vor allem in Manila ist das preislich kaum der Rede wert – aber man würde nichts sehen ausser den ausgetrampelten Touristenpfaden.
Erstmal geht es zum großen Rizal-Park. Aha, ein großer Park – mit Teich, Springbrunnen, Denkmälern, Buden und was auch immer. Ich komme an einer Rizal-Gedenkstätte vorbei und werde von einem älteren Menschen, der sich als Paul vorstellt, angehalten. José Protacio Rizal Mercado y Alonso Realonda, kurz José Rizal ist DER philippinische Nationalheld. Geboren 1861, wurde er mit nur 35 Jahren von den damaligen Kolonialherren, den Spaniern, wegen vermeintlichen Landesverrats hingerichtet. Rizal war Dichter, Arzt, Künstler, Sprachgenie, Revolutionär und gilt als der erste philippinische Wissenschaftler. Was man halt so macht, bevor man mit 35 Jahren erschossen wird.
Ich begegne Paul mit Skepsis. Was will er? Will ich hier wirklich eine private Führung oder mir alles lieber selbst erschließen? Aber er ist zu liebenswürdig. Ich bezahle die 20 Peso (0.50 Euro) Eintrittsgeld, und Paul zeigt und erklärt die gesamte Gedenkstätte. Und verschwindet irgendwann von selbst. Nein, Paul ist offensichtlich nicht auf Pesos aus, sondern daran interessiert, Besucher wissen zu lassen, was hier wie und warum und seit wann gezeigt wird. Und er ist eine Quelle zahlreicher interessanter Informationen. Gedenkstätten wie diese brauchen Leute wie Paul.
Modernes Manila komplett mit Müll

Weiter geht’s. Ich will zum Ufer, aber der Weg ist versperrt. Ich komme an einem Vergnügungspark vorbei und an einer Paradestrecke. Alles ist schön gleichmäßig mit Müll übersät, und überall sind Menschen, die dort irgendwie im Freien übernachten. Die Philippinen sind überwiegend katholisch, sehr kinderreich, und der neue Reichtum hat sich noch nicht herumgesprochen. Eine Zusammenfassung des Landes in einem Satz.
Nach einer Weile komme ich an einem wunderschön gepflegten Golfplatz mitten im Zentrum vorbei – darin versteckt liegen Befestigungsanlagen. Das also ist Intramuros (wörtlich: Innerhalb der Mauern), die alte spanische Festung. Irgendwann komme ich sogar am Eingang an, wo mich sofort Reiseführer belagern, die mir ihre Dienste anbieten. Darauf habe ich allerdings keine Lust. Später vielleicht, jetzt nicht. Die Führer sind enttäuscht. Bald komme ich am Pasig-Fluss an und beschliesse, meine Beine weiterlaufen zu lassen. Über die Jones Bridge geht es nach China Town – erstmal zur alten Kirche St. Lorenzo Ruiz am gleichnamigen Platz. Der Verkehr auf dem langgestreckten Platz ist mörderisch. Ein völlig chaotisches Wirrwarr aus Autos und Jeepneys umkreist den Platz wie Schmeißfliegen einen Kuhfladen. Zur grünen Platzmitte zu kommen ist ein echtes Abenteuer, aber der Verkehr ist gottseidank zäh genug, um die Straße unbeschadet zu überqueren. Normalerweise kein Starbucks-Fan, bin ich doch froh, einen Starbucks-Laden zu sehen. Ahh, Kaffee! Der Cappucino kostet 120 Pesos, also gute 2 Euro – ein stolzer Preis, wenn man die Lage bedenkt. Ein Mann mit Pistole im Holster und lupenrein weißem Hemd öffnet mir die Tür. Überhaupt Security – alle Banken werden von freundlichen Männern mit martialisch aussehenden Second-Hand-Pump Guns bewacht.
Dies war mal ein Fluß

Mittlerweilen hat es zu regnen begonnen. Macht nichts, denke ich, denn gleich neben dem Platz ist ein quirliger Straßenmarkt, da wird es doch bestimmt auch Regenschirme geben. Dem ist allerdings nicht so – es gibt nirgendwo etwas, was man als Regenschirm verwenden könnte. Und tatsächlich, nur sehr wenige scheinen einen Regenschirm zu besitzen. Der Rest verkrümelt sich irgendwo unter Dächer oder beeilt sich, aus dem Regen zu kommen. Aber so stark regnet es zum Glück noch nicht. Also laufe ich weiter, zurück zur Kirche und ins Viertel Binondo. China-Town, zu erkennen an zahlreichen chinesischen Restaurants und Apotheken. Eine Kloake durchzieht das Viertel – das Wasser stinkt und ist voller Müll. Eine funktionierende Stadt kann man in der hiesigen Zeit an ihrer Infrastruktur und dem Zustand der Gewässer im Stadtgebiet messen. Demzufolge gibt es in Manila noch sehr, sehr viel zu tun. Die Straßen in der Gegend sind eng und sehr belebt. Bei einem der chinesischen Restaurants mache ich Halt und esse zu Mittag. An der Carriedo Fountain vorbei geht es weiter, bis ich plötzlich am Bahnhof Carriedostehe.
Markt in der Carriedo St.

Unter dem Bahnhof und in der am Bahnhof beginnenden, gleichnamigen Straße geht es wüst zu: Ein gigantischer Straßenmarkt mit mehr oder weniger fliegenden Händlern, die einfach alles verkaufen. Der blanke Wahnsinn spielt sich hier ab, und als Reisender fällt man auf wie ein bunter Hund. Der Trubel kulminiert vor der Quiapo-Kirche und der näheren Umgebung und geht auch im Fußgängertunnel hinter der Kirche weiter. Der Regen ist mittlerweilen recht stark, aber im Tunnel entdecke ich einen Verkäufer, der Regenschirme für 150 Peso verkauft. Die Verkäuferin fragt mich bei der Gelegenheit „Regnet es etwa draußen?“. Aber nicht doch.
Ich laufe noch etwas weiter, bis zur Goldenen Moschee, die der Stadt vor etlicher Zeit von Gaddafi gespendet wurde. Die Gegend um die Moschee sieht schon etwas, nun ja, anspruchsvoller aus, was das Herumstrolchen als Europäer anbelangt. Hier möchte man nicht auffällig werden, aber natürlich wird man von allen angestarrt. Die Frage „Was will denn der hier?“ steht allen ins Gesicht geschrieben. Im Moscheebereich scheinen Heerscharen von bettelnden Kindern zu wohnen. Denen ich kein Geld gebe, denn aus Prinzip gebe ich bettelnden Kindern nichts. Egal wo. Und das nicht, weil ich Kinder nicht mag, sondern weil ich sie mag. Ich beschliesse, mich von dieser Seite des Flusses zurückzuziehen und laufe zur McArthur Bridge. Plötzlich sind drei Kinder hinter mir, und der älteste von ihnen, vielleicht um die 12 Jahre alt, zieht von hinten an meiner Tasche. Allerdings so halbherzig, das ich nicht sicher bin, ob er versuchte, sie zu klauen oder einfach nur meine Aufmerksamkeit erregen wollte. Die drei sind schon etwas aggressiver, aber konzentrieren sich ziemlich schnell auf einen anderen Passanten.
Bald gelange ich wieder an den Außenmauern von Intramuros, dieses Mal auf der anderen Seite, an. Ein junger Mann heftet sich dort plötzlich an meine Fersen. Ich habe Durst vom vielen Laufen und trinke einen Schluck grünen Tee, den ich am Vortag noch in Japan gekauft hatte und seitdem mit mir rumschleppe. Er sieht das und fragt:
„Can you give me some water, Sir?“
Er sieht nicht so aus wie jemand, dem ich meine Wasserflasche geben – und danach zurückverlangen würde. Viel ist nicht mehr in der Flasche, aber ich sage:
„Sure. Just keep it. It’s green tea, though“.
Er trinkt etwas, sieht aber noch immer nicht ganz glücklich aus.
„Do you have some food?“
„Errh, no. Sorry, I don’t have anything with me.“
Ich deute dabei auf meine kleine Tasche, in die wirklich nicht viel reinpasst. Er sieht etwas unglücklich aus. Ich verabschiede mich freundlich und laufe weiter. Und merke, dass er mir folgt. Das gefällt mir nicht, und ich bleibe stehen, um so zu tun, als ob ich den Golfplatz bewundere. Er nähert sich wieder und sagt:
„I can give you blowjob“
Weia. Mit dieser Wendung habe ich nicht gerechnet. Ich lehne dankend ab und er läßt mich hernach auch in Ruhe. Aber irgendwie beschäftigt mich diese Begegnung noch eine Weile: Er hat nicht um Geld gebettelt – das war wahrscheinlich unter seiner Würde. Im Nachhinein bereue ich es schließlich, ihm nicht ein paar Pesos gegeben zu haben. Stattdessen war es nur grüner Tee, der ihm wahrscheinlich nicht sehr weit half.
Nach rund 20 Kilometer Fußmarsch gelange ich wieder am Hotel an, aber laufe gleich noch ein bißchen weiter. Nach einer Weile stehe ich plötzlich vor der Robinson’s Mall – ein riesiges, vierstöckiges Einkaufszentrum, das sich vor denen in Japan und den USA nicht verstecken braucht. An den Eingängen läuft man durch Metalldetektoren; das Gepäck wird halbherzig vom Wachpersonal untersucht – getrennt nach Männchen und Weibchen, versteht sich. Der Kontrast könnte kaum größer sein zum Manila, das ich vorher in der Nähe der Moschee sah. Das Einkaufszentrum durchquere ich schnell, aber es dauert eine ganze Weile.
Alles adobo: Fleisch mit sehr, sehr viel Reis

Am Abend beschließe ich, der philippinischen Küche auf den Grund zu gehen und gehe in ein laut Reiseführer „Gourmet-Restaurant“ für die hiesige Küche. Dort spielt eine kleine Combo Musik – die drei lustigen Musikanten gehen von Tisch zu Tisch und spielen Lieder, die der Nationalität der Speisenden angepasst sind: Simon & Garfunkel und was weiß ich für Amerikaner… und ein paar traditionelle japanische Lieder für die Japaner am Nebentisch. Sie sind gar nicht mal schlecht. Weil ich allein bin, werde ich ausgelassen, und das soll mir recht sein. Das Menü erschlägt mich regelrecht, also frage ich, was man mir empfiehlt. Das Ergebnis: Große Brocken Fleisch mit ein bisschen Sauce auf einem Bananenblatt – und eine ungehörig grosse Portion körnigen… Knoblauchreis. Das Verhältnis von Beilage und Reis ist einfach nur verkehrt. Wer kann so große Mengen Reis mit so wenig Beilage essen? Ich jedenfalls nicht. Das Fleisch ist adobo gekocht – also mit Knoblauch und Essig. Es schmeckt, aber allmählich verstehe ich, warum es keine philippinischen Restaurants in Japan gibt: Die Sachen sind essbar, aber nicht unbedingt spektakulär. Aber ich bin mir sicher, dass es viele versteckte, kulinarische Spezialitäten in diesem Land gibt – aber es wird wohl mehr als ein paar Tage und ein Besuch in der Hauptstadt brauchen, um diese zu finden. Zur Not bleiben dann eben die zahlreichen chinesischen, koreanischen und japanischen Restaurants, die es in Hülle und Fülle gibt. Aber all das bekomme ich in Japan auch, und wahrscheinlich besser.
Und so geht Tag 1 zu Ende. Insgesamt waren es wohl um die 30 Kilometer. Das sollte für den ersten Tag reichen.

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tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

2 Kommentare

  1. toller Reisebericht, bin gespannt wie es weiter geht. Dann noch viel Spass und tolle Erlebnisse :)
    Grüße aus Good old Germany
    Sushifrank

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