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Japan und die Privatsphäre im Netz: Versiert oder einfach nur ahnungslos?

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Leicht amüsiert lese ich immer die permanenten Aufschreie im deutschsprachigen Internet bezüglich der Datensammelwut von Firmen wie Google, Facebook und so weiter. Garniert mit kurzen Proteststürmen über Meldungen wie „mehr Werbung auf Facebook“, die Weitergabe von Profildaten und ähnlichen neuen, natürlich nur im Interesse der Nutzer installierten Features.
Nun gut. Google besitzt 2% der weltweit aktiven Server1 und investiert jährlich ca. 2,5 Milliarden Dollar in seine Infrastruktur2. Facebook bezahlt rund 1 Dollar pro User im Monat – das meiste davon geht ebenfalls in die Infrastruktur. Für Amazon ist es schon schwerer, an Daten zu kommen, aber die Summe, die in die Infrastruktur gesteckt wird, dürfte ebenfalls enorm sein. Wobei der Vergleich freilich hinkt: Für den normalen User ist Amazon ein klarer Fall: Hier wird verkauft, hier gibt es nichts für umsonst. Und Amazon ist sehr clever mit seiner Cloud-Strategie. Zu dieser Strategie kann man der Firma nur gratulieren.
Facebook und Google sind – oberflächlich gesehen – nicht so kommerziell. Klar, man sieht Werbung hier und da, aber dem gegenüber stehen unzähliche kostenlose Dienstleistungen. Und viele scheinen so zu vergessen, dass es sich bei Google und Facebook um kommerzielle Unternehmungen handelt, die nur auf eins aus sind: Shareholder Value. Und wer glaubt, dass sich der ganze Zirkus allein mit puren Werbekosten rechnet, sollte mal genau in sich reinhören: Wie oft klickt man Werbung bei Facebook an? Und wie oft kauft man dann wirklich etwas? Der sich selbst als kundig bezeichnende User scheut Werbung wie der Teufel das Weihwasser und denkt sich „sollen das mal die anderen (sprich: Ahnungslosen) machen. Aber wehe, jemand will an die privaten Daten ran, die man so mühsam vorher in die Tastatur gehackt und an Server im Nirgendwo versendet hat!
In Japan ist natürlich alles anders. Privatsphäre wird in Japan gross geschrieben. PRIVATSPHÄRE quasi. Japaner geben ungern ihren Klarnamen im Internet preis. Viele Experten haben vorausgesagt, dass Facebook in Japan nicht funktionieren wird, da Klarnamen gefordert werden (beziehungsweise wurden). Stattdessen hielt man sich an Mixi4 , einem japanischen SNS. Doch Facebook war dann doch zu attraktiv. Im Juni waren wohl gute 10 Millionen Japaner bei Facebook registriert5 (interessanterweise dominiert jedoch Twitter in Japan: Der Softbank-Chef hat zum Beispiel knapp 1,8 Millionen Follower6 – und er schreibt auf Japanisch). Mixi hat zwar rund 20 Millionen Nutzer, befindet sich aber eindeutig auf dem absteigenden Ast. Facebook hingegen wächst, und kaum jemand ist sich bewußt, wann er wo und warum Informationen preisgibt.
Ändert Facebook nun seine Nutzerbedingungen oder erfindet neue Strategien, Nutzerdaten zu verwerten, passiert in Japan – rein gar nichts. Keiner regt sich auf, keiner nimmt davon Kenntnis. Ändert man das Urhebergesetz, so daß Downloads bzw. File-Sharing plötzlich in vielen Fällen illegal werden, schreien maximal die in Japan lebenden Ausländer auf, doch die Japaner nicht. Die meisten wissen noch nicht mal was davon. Warum? Hat man in Japan ein gesunderes Verhältnis zum Kapitalismus, oder ist es schlichtweg Ahnungslosigkeit?
Es dürfte eine Mischung aus beiden sein. Das Gros der Nutzer dürfte (wie auch in Deutschland) keine Ahnung davon haben, wie Firmen wie Facebook eigentlich existieren und arbeiten. Von den IT-Kosten haben die meisten nicht die leiseste Ahnung (und das kann man natürlich keinem übelnehmen). Die meisten nehmen es – zurecht – als selbstverständlich hin, dass Webseiten schnell laden und den gewünschten Inhalt zeigen. Nehmen wir Google als Beispiel. Google zahlt also 2,5 Milliarden pro Jahr an IT-Kosten. Angestelltengehälter und so weiter sind da nicht enthalten. Nehmen wir mal an, 40% der Weltbevölkerung benutzt Google. Eine nicht unrealistische und eher überhöhte als untertriebene Zahl. Google zahlt also einen Dollar pro Nutzer. Die Nutzer sind derweilen nicht faul und installieren Add-Ons, um Google-Werbung auszublenden. Google ist natürlich nicht dumm und bringt als konsequenten Schritt seinen eigenen Browser sowie seine eigene Plattform für Mobilfunkgeräte auf den Markt. Facebook wird sich noch einiges einfallen lassen, um nachhaltig wirtschaften zu können, ohne die User zu vergraulen. Die User wiederum sollten sich langsam aber sicher daran gewöhnen, dass es nichts für lau gibt. Und sich damit anfreunden, dass wir im Kapitalismus leben. Facebook und Google bauen all die schönen Sachen, ohne die viele nicht mehr leben können – so scheint es – doch die Leute, die dahinter stecken, wollen auch nur satt werden, Manche natürlich satter als andere. Facebook und Google sind zu groß, um als Open Source zu existieren.
Wo war ich. Versiert oder ahnungslos. Eine Beobachtung spricht für Versiertheit: Ich habe sehr viele japanische Facebook-Kontakte, und von denen erhalte ich seltsamerweise keine nervenden Anfragen oder Meldungen, ob ich hier mitspielen möchte oder da mitspielen möchte. Auch keine nervenden Aufrufe, dem armen dreibeinigen, blinden Terrier zu helfen, indem ich den Stuß allen Bekannten mitteile (sowas nannte sich früher Kettenbriefe). Von meinen deutschen Facebook-Kontakten werde ich higegen damit bombardiert, ob ich will oder nicht. Und die meisten Japaner, die ich kenne, sind sich halbwegs bewußt, dass sie bei Facebook-Apps aufpassen müssen und welche Sicherheitseinstellungen sie setzen sollten. Dazu gibt es mittlerweilen sicher auch schon Fachbücher und Ratgeber.
Über das Thema ließe sich noch viel, viel mehr schreiben, aber ich belasse es mal bei diesem kurzen Anriß.
Dazu aber noch kurz zwei Anekdoten zum Thema Facebook:
1. Eine Mitarbeiterin kam neulich zu mir und sagte: „Herr Soundso, der bei uns noch eine offene Rechnung von 500,000 Yen hat (also rund 5,000 Euro), scheint nicht mehr erreichbar zu sein. Wir haben über das Gericht einen Zahlungsbefehl zustellen lassen, aber das Gericht sagte, dass die Briefe zurückkamen. Was sollen wir tun? Ich schlage vor, wir geben auf.“ Das erschien mir zu einfach. Ich wurde neugierig und recherchierte selbst. 10 Minuten später hatte ich die Adresse raus: Der gute Herr leitete einst eine Englischschule, und die Webseite gab es noch, mit einem sehr markanten Profilphoto. Kurze Zeit später fand ich ihn auf Facebook, mit seiner aktuellen Anschrift auf seiner Startseite – sichtbar für alle.
2. Wir suchten neulich einen neuen Mitarbeiter. Viele meldeten sich. Im Bewerbungsschreiben stand auch ein Link zum Facebook-Profil. Dort sprangen mir sofort Bankauszüge ins Auge und Kommentare wie: „Ich bin jetzt fast pleite, ich brauche jetzt wirklich schnell einen neuen Job“, sowie verzweifelte Sätze wie „Warum will mich denn keiner“ und weiter unten, schlechte Bemerkungen über ehemalige Arbeitgeber. Tja, warum will den bloss keiner? Seltsam…

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Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

2 Kommentare

  1. ‚“Herr Soundso, der bei uns noch eine offene Rechnung von 500,000 Yen hat (also rund 5,000 Euro), scheint nicht mehr erreichbar zu sein. Wir haben über das Gericht einen Zahlungsbefehl zustellen lassen, aber das Gericht sagte, dass die Briefe zurückkamen. Was sollen wir tun? Ich schlage vor, wir geben auf.”‘
    Ist da nicht die Exekutive zuständig den ausfindig zu machen? Wenn das Gericht den Zahlungsbefehl erteilt hat?

    • Zuständig sind die bestimmt. Dürfte aber wie in D sein – bloß nicht zuviel Arbeit machen, im Zweifel das Verfahren einstellen. Oder so.
      Der zweite Punkt – Mitarbeitersuche – ist ja übel. Man sollte doch inzwischen gelernt haben, möglichst wenig öffentlich zu machen im Netz. Und ich würd keinesfalls einen Facebook-Acc (sofern ich denn einen hätte) dem Arbeitgeber mitteilen. Soll er doch selbst suchen …

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