BlogIshihara oder eine gute Nachricht und eine schlechte Nachricht

Ishihara oder eine gute Nachricht und eine schlechte Nachricht

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Shintaro Ishihara, 2006-Sep-1By MCSN ADAM YORK, USN (Public domain), via Wikimedia Commons
Man muss nicht allzu lange in Japan gewesen sein, um sein Gesicht und seinen Namen zu kennen: 石原慎太郎 Ishihara Shintarōist politisches Urgestein. Der 80-jährige, oft als rechts-populistisch angesehener Politiker, war in den 80ern Transportminister und Kabinettsmitglied sowie seit 1999 Gouverneur der Hauptstadtpräfektur. Und damit durchaus ein politisches Schwergewicht.
Ishihara war einst Schriftsteller und gewann sogar 1955 den in Japan wichtigsten Literaturpreis – den Akutagawa-Preis. Wer ihm wohlgesonnen ist, könnte ihn als Politiker mit Herz und Schnauze bezeichnen, denn Ishihara hat selten ein Blatt vor den Mund genommen. Wer ihm weniger wohlgesonnen ist, würde ihn eher als ausgemachten Nationalisten und Populisten bezeichnen. Er hält die Verfassung für teilweise von den Besatzungsmächten oktroyiert (womit er freilich nicht ganz unrecht hat) und will sie entsprechend ändern – so mit Sicherheit auch die Pazifismusklausel im Artikel 6. Ishihara hat auch mit seinem Vorschlag im April 2012, die Senkaku-Inseln aufzukaufen, eine der schwersten aussenpolitischen Krisen zwischen Japan und China seit Normalisierung der Beziehungen in den 1970ern ausgelöst – dieser Streit schwelt immer noch vor sich hin und hat große Wellen geschlagen (siehe unter anderem hier).
Trotz oder gerade wegen seiner Gesinnung und trotz zahlreicher verbaler Ausrutscher ist Ishihara jedoch sehr beliebt und hat in Tokyo einiges geleistet. Heute nachmittag, um 15 Uhr, hat er in einer Sonderpressekonferenz seinen sofortigen Rücktritt angeboten. Soweit die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht (ja, ich bin mal wieder sehr subjektiv): Der gute Mann gedenkt nicht etwa in Rente zu gehen, sondern in die Landespolitik. Dort will er möglicherweise eine eigene Partei gründen (zur Zeit ist er parteienlos), und wie es aussieht, scheint er zu hoffen, dies mit dem ebenfalls momentan sehr streitbaren, aber bei vielen beliebten Bürgermeister von Ōsaka, 橋下 徹 Hashimoto Tōru, mit 43 Jahren beinahe halb so alt wie Ishihara, gemeinsam durchführen zu können. Es scheint auch gut möglich, dass Ishihara keine komplett neue Partei gründet, sondern die relativ neue Partei たちあがれ日本 Tachiagare Nippon – etwa: “Steh auf, Japan” „übernimmt“.
Was kommt da auf Japan zu? Ishihara ist sehr einflußreich, und Hashimoto ebenfalls. Beide Politiker haben, für japanische politische Verhältnisse, Charisma und sind bei bestimmten Bevölkerungsteilen sehr beliebt. Sie haben entsprechend die Chance, das politische Geschehen ordentlich aufzuwirbeln. Und das ist ob Ishihara’s reaktionärem Gedankengut kein angenehmer Gedanke.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

7 Kommentare

  1. Hm, aber es wird hoffentlich von den Medien (objektiv) aufgegriffen, ja? Soweit ich das mitbekommen habe, scheint es eine Seltenheit zu sein, lange als (wichtiger, einflussreicher) Politiker zu agieren. Sind die beiden deshalb so beliebt, weil sie schon lange immer wieder in aller Munde sind oder woher kommt wohl die Popularität? Aus einer Protesthaltung der Wähler?

    • Sicher wird das aufgegriffen – von allen Medien. Mehr oder weniger objektiv. Beide sind unter anderem deshalb so beliebt, weil sie polarisieren sowie den Eindruck erwecken, gegen das Establishment (=Ober- und Unterhaus) zu sein. Sie reden, was alle hören wollen: Das die momentane Politik nicht akzeptabel ist, das Japan neu aufgebaut werden muss usw.

  2. Jaja, der gute alte Mann und (nein nicht das Meer – oder doch) Japan. Aufmischen, was aufzumischen geht, rechtslastig bis zum geht-nicht-mehr, und dann mit Hashimoto zusammen, der sich auch in den letzten Jahren sehr geaendert hat (nicht nur zum Vorteil!!). Fehlt nur noch der „Uso-Aso“, dann waere die Troika fast perfekt!!

  3. Was ist denn der Hintergrund für sein Rücktrittsangebot? Und vielleicht tritt er von seinem Rücktritt wieder zurück. Wäre ja nix außergewöhnliches…

  4. >und hat in Tokyo einiges geleistet
    Was denn? Die Verwaltungsarbeit hat sein Stellvertreter Naoki Inose gemacht, Ishihara war sich dafür zu fein und hat nur „repräsentiert“. In seinen über 22 Jahren als Unterhausabgeordneter hat er nichts erreicht, weiß der Geier was der alte Sack jetzt wieder in der Landespolitik will. Mit Takeo Hiranuma hat er jedenfalls den richtigen Spießgesellen für seine Spielchen gefunden.

  5. Wenn jemand schon seinen Rücktritt nur anbietet, ist das nicht zu 100% ernst gemeint. Zumal könnt ich mir vorstellen, dass er nur sehen möchte, wie die Reaktionen so sein werden…

  6. Ihr aber lernet, wie man sieht statt stiert
    Und handelt, statt zu reden noch und noch
    So was hätt einmal fast die Welt regiert!
    Die Völker wurden seiner Herr, jedoch
    Daß keiner uns zu früh da triumphiert –
    Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!
    Bertolt Brecht: Epilog zu: Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui, 1941.

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