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Kōshien

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Die Kyūshū-Fortsetzung folgt später. Heute mal ein paar Zeilen zu einer neuzeitlichen, aber in Japan sehr wichtigen Tradition. Aus aktuellem Anlaß. Denn heute fand das Finale der Baseball-Highschool-Meisterschaften Japans statt. Ich schreibe bewusst Highschool, da sich die japanische Oberstufe nur sehr bedingt mit Gymnasium oder ähnlichen, im Deutschen gebräuchlichen Begriffen übersetzen lässt.
Dieses Finale findet seit jeher (genauer gesagt seit 1915) in einem Baseballstadion in 甲子園 Kōshien statt. Jenes ist wiederum ein Stadtteil von 西宮 Nishinomiya, zwischen Kōbe und Ōsaka gelegen. Und der Name steht in Japan für den noch immer beliebtesten Sport des Landes (obwohl Fußball in den letzten Jahren stark aufzuschließen scheint) und – für Träume. Baseball ist sehr beliebt als Schulsport, und wer es nach Kōshien schafft, ist bereits in Held. Wer dort mit seinem Team gewinnt, ist der Oberheld – und für einige Spieler öffnet das Finale dort auch die Tür zum Profibaseball. Kein Wunder, denn an dem Wettbewerb nehmen über 4’000 Schulen landesweit teil. Und eines muß man dazu sagen: Die Stimmung im Stadion ist riesengroß – es wird getrommelt, gesungen, gemacht, getan. Kennt man alles vom Fußball, nur noch lauter und noch organisierter.
Nun ist es schon interessant, die Stimmung zu sehen  bzw. zu hören (ich bin einmal am Stadion vorbeigefahren, als dort ein Halbfinalspiel stattfand). Es ist auch halbwegs interessant, die Zusammenfassung des Spiels im Fernsehen zu sehen. Jedoch: Selbst nach all den Jahren in der Baseballnation Japan komme ich persönlich nicht ran an den Sport. Und ich glaube noch immer fest, die Fans machen nur deshalb soviel Stimmung, weil es nichts anderes zu tun gibt während des Spiels. Das Regelwerk im Baseball ist, nun ja, anfangs schwer verdaulich. Im Mittelpunkt: Ein Werfer, ein Typ mit Baseballschläger und ein Fänger. Wurf. Nicht getroffen. Gefangen. Wurf. Nicht getroffen, gefangen… Gääääähn. OUT! Nächster Pfriemel. Wurf. Oh, getroffen! Ball fliegt. Plötzlich sieht es auf dem Spielfeld aus wie im Bienenkorb. Und so weiter. Es gibt keine Zeitbegrenzung – das kann ewig so weitergehen.
Aber gut – als Baseballfan kann man sicher auch Fußball auf diese Art und Weise beschreiben. Und beim Baseball gibt es – normalerweise – einen Gewinner, beim Fußball jedoch häufig keinen. Und so wird mir Baseball und Kōshien ein Rätsel bleiben. Die Finalisten dieses Jahr waren eine Highschool in Ōsaka (also Lokalmatadoren) und eine Highschool aus Aomori im Norden. Ōsaka gewann 3:0. Maximale Ballgeschwindigkeit des besten Werfers: 153 km/h. Mit der Hand geworfen, wohlgemerkt!
Anbei noch ein Videozusammenschnitt vom Kōshien 2011, das die Bedeutung und die Gefühle recht gut zusammenfasst:

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

7 Kommentare

  1. Ich finde es faszinierend, dass Baseball in Deutschland quasi nicht existent ist. Selbst Curling (aka Eissstockschießen) sollte hierzulande locker mehr Fans zusammenbekommen. Da frage ich mich schon wie so ein kollektives Desinteresse entsteht.

  2. Dafür ist in Deutschland wieder Fussball populär. Vielleicht sprechen diese Sportarten dieselbe Zielgruppe an, sodass je Nation nur eine übrig bleibt.^^
    Mich selbst hat noch keine dieser Ballsportarten sonderlich interessiert.

  3. Koshien kann man nicht wirklich entgehen, selbst wenn man sich überhaupt nicht für Baseball interessiert – so wie ich!
    Ich wusste bisher nicht mal, dass das hier ganz in der Nähe zwischen Osaka und Kobe stattfindet!
    Man lernt nie aus! ;)

  4. @zoomingjapan
    Einfach den Hankyū von Nishinomiya nach Takarazuka nehmen – ist der zweite oder dritte Bahnhof :)
    @Christian
    Ja, gibt es:
    http://www.girls-probaseball.jp/
    Die japanischen Baseballerinnen wurden jüngst sogar zum dritten Mal in Folge Weltmeisterinnen.
    Das musste ich allerdings selbst auch erstmal googeln: Während das japanische Frauenfußball-Nationalteam durchaus häufig in den Medien auftaucht, habe ich vom Frauen-Baseball bisher noch nie etwas gehört.

  5. Wobei die japanische Oberschule mit der amerikanischen High School genau so wenig gemein hat.
    Baseball… ich habe mich beim 早慶戦 tierisch gelangweilt, und das Mädel vom 応援部, das mit ihrer schrillen Stimme direkt neben mir geschrien hat, hat die Stimmung auch nicht gebessert…

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