BlogDas andere Tokyo: Mitake

Das andere Tokyo: Mitake

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Besuch aus der alten Heimat ist immer eine gute Gelegenheit, Dinge in Japan zu sehen, die man noch nicht gesehen hat. Klar, man sollte erstmal Orte zeigen, die man selber schon gut kennt. Ist der Besuch allerdings bereits zum vierten Mal zu Besuch, kann man gern auch etwas Neues erschliessen. Zum Beispiel die Kneipe im eigenen Haus. Seit knapp zwei Jahren lebe ich nun in meiner jetzigen Wohnung. Zusammen mit 10 anderen Mietparteien (was für ein seltsames Wort) und einer Kneipe im Erdgeschoß. In die ich es bis dato tatsächlich noch nicht geschafft hatte. Aber das nur am Rande.
Für zwei Tage ging es auch nach Tokyo. Und damit meine ich nicht DAS Tokyo, sondern das andere. Ausserhalb Japans ist kaum bekannt, dass zu Tokyo auch subtropische Inseln und über 2’000 Meter hohe Berge gehören. Anders gesagt, assoziieren viele mit Tokyo entweder das Stadtzentrum selbst ODER das gesamte Ballungsgebiet Tokyo, inklusive Teilen der benachbarten Präfektur Saitama, Chiba, Kanagawa, Gunma, Tochigi und Yamanashi. Ersteres nennt man umgangssprachlich die 23区 (nijūsan-ku, die 23 -ku genannten Stadtteile) und offiziell 東京都区部 (Tōkyō-to Kubu), letzteres 首都圏 Shutoken (Hauptstadtregion).

Standseilbahn zum Mitake-san

Verwaltungstechnisch gesehen gibt es übrigens Tokyo nicht. Tokyo – das ist eigentlich 東京都 Tōkyō-to. Das -to liest man auch miyako und das bedeutet „Hauptstadt“. Tokyo ist eine der 47都道府県 (TOdōfuken) – 47 Präfekturen, und nur Tokyo darf das -to im Namen tragen, auch wenn sich Ōsaka momentan bemüht, seinen Suffix -FU in ein -TO umzuwandeln. Die Verwirrung um Tokyo und Tokyo-to kann man gut in der Wikipedia sehen: Die Seite über Tokyo auf Japanisch geht eigentlich nur auf den Namen ein und darauf, wann und wie Tokyo verwaltungstechnisch einzuordnen ist. Es gibt nur wenige Links zu Artikel über Tokyo in anderen Sprachen – darunter zur deutschen Hauptseite über Tokyo (Status: Exzellenter Artikel), aber es gibt keinen Link zum englischen Artikel. Schaut man jedoch auf den Wiki-Artikel über Tokyo-to auf Japanisch, findet man unzählige Sprachversionen – darunter auch den Link zur Präfektur Tokyo auf Deutsch und den Link über Tokyo auf Englisch. Von Amts wegen müsste da mal jemand aufräumen. Wenn ich mal viel Zeit habe…
Blick von der Standseilbahnstation zum Dorf und zum Schrein. Hier blüht die Kirsche sogar noch Anfang Mai

Die meisten Besucher sehen von Tokyo nur die oben genannten 23 -ku und Takao im Südwesten – jenes gehört zur Stadt 八王子 Hachiōji. Aber es gibt noch viel mehr zu sehen, und nach und nach will ich selbst auch dieses andere Tokyo bereisen und beschreiben. So zum Beispiel 御岳山 Mitake-san im Nordwesten von Tokyo-to in der Stadt 青梅市 Ōme-shi (Wörtlich: „Grüne Pflaume“). Die Anreise ist bereits interessant: Vom Wolkenkratzermeer in Shinjuku fährt man mit einem normalen Schnellzug der Chūō-Linie eine gute Stunde bis Ōme. Von dort geht es mit der Ōme-Linie knapp 20 Minuten weiter bis zum Bahnhof 御嶽 Mitake. Die Berge beginnen bereits bei Ōme, und Mitake liegt bereits mitten in den Bergen an einem steilen Flusstal. Von dort geht es gute 10 Minuten weiter mit dem Bus bis zur Standseilbahnstation. Jene ist knapp 1 Kilometer lang und legt über 400 Höhenmeter zurück. Et voilà – und so schnell gelangt man vom Moloch Tokyo ins bergige, abgeschiedene Tokyo auf über 800 Meter Höhe. Hier ist es gleich mal im Schnitt 7 Grad kälter als „unten“.
Was soll man nun da oben? Oben gibt es ein kleines Dorf mit sehr, sehr engen Strassen, zahlreichen Herbergen (erfreulicherweise sind dies alles sehr kleine, meist traditionell japanische Herbergen und keine Bettenburgen). Die Strassen und die einzige Zufahrtsstrasse zum Ort sind so eng, dass nur Kei-Cars (Leichtautomobile) mit besonderer Zulassung hinauffahren dürfen. Rundumleuchten auf dem Dach scheinen dabei Pflicht zu sein. Das ist natürlich besonders selten in Japan: Ein Ort, durch den man relativ gelassen spazieren kann, ganz ohne Ampeln und ohne ständiger Sorge, mangels Bürgersteigen und Verkehrssicherheitsbewusstsein an der nächsten Strassenecke über den Haufen gefahren zu werden.
Ehrlich, das ist in Tokyo! Und kein Museum, nur ein Haus!

Mitake ist bedeutend aufgrund seiner Schreine. „Mitake“ heisst wörtlich „verehrter Berg“ und der Name deutet darauf hin, dass dies ein (meist shintōistisch) bedeutsamer religiöser Ort ist. In diesem Fall ist dies der 武蔵御嶽神社 (Musashi-Mitake-Schrein)auf dem Gipfel des 929 Meter hohen Mitake. Der Grundstein wurde der Legende zufolge bereits 91 vor Christus gelegt, aber diese Angaben sind mit Vorsicht zu geniessen. Der Aufgang zum Schrein ist recht bombastisch, mit massiven Granittreppen, aber der Schrein selbst ist erstaunlich klein – und fein. Majestätische 檜 (hinoki – eine Scheinzypressenart) umsäumen den Schrein und sind auch sonst recht verbreitet.
Im Musashi-Mitake-Schrein. Ganz mit ohne Leute!

Vom Mitake-san selbst gehen zahlreiche Wanderwege ab – diese führen durch dichte Wälder an steilen Hängen entlang, mit Wasserfällen hier und da. Es ist auch für alle was dabei – Wanderwege für Waldspaziergänge bis hin zu langen, anspruchsvollen Routen, die teilweise zu ein paar Tausendern in der Gegend führen. Bei gutem Wetter hat man von der Gegend sogar einen richtig guten Blick auf Tokyo. Das ist tagsüber natürlich schön – aber nachts noch viel eindrucksvoller. Allerdings muss man sich schon im Winter nach Miyake-san bewegen, ansonsten stehen die Chancen für klare Sicht relativ schlecht.
Wasserfall am Mitake-san

Fazit: Takao ist quasi ein Pflichtabstecher von Tokyo aus, aber wer noch einen Tag übrig hat oder in Japan wohnt, dem sei ein Abstecher nach Miyake-san wärmstens empfohlen. Übernachtet haben wir übrigens in einer japanischen Herberge namens 能保利 Nobori. Kaum hatten wir unser Gepäck im Zimmer abgestellt, kamen die beiden kleinen Kinder (5 Jahre und 6? 7? Jahre). Durch die Reservierung wussten die Kinder scheinbar, dass ich eine 5-jährige Tochter dabei hatte. Die ging nur allzu gerne mit – und tobte fortan mit den beiden Kindern der Betreiber durch das ganze Haus. Das Essen dort war auch ganz vorzüglich. Bei traditionellen Herbergen bei Schreinen und Tempeln gibt es meistens vegetarisches Essen – hier gab es jedoch auch Fisch (Bachsaibling – eher eine Seltenheit in Japan, da kein Meeresfisch) und Muscheln. Die meisten der geschätzten 15 bis 20 Leckerbissen waren jedoch vegetarisch, und ausnahmslos köstlich.
Der Tisch ist gut gedeckt – und das ist noch nicht mal die Hälfte

So, das war es zum Thema. In Bälde wird es dann eine Extra-Seite in meiner Tokyo-Sektion geben. Wer mehr Ausflugstipps im westlichen Teil der Präfektur Tokyo hat – immer her damit!
Unterhaltungsshow beim Abendessen: Fernseher braucht man nicht

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

2 Kommentare

  1. Vielen Dank für den Tipp!
    Genau so eine Ortschaft, wie ich sie mir von deiner Beschreibung her vorstelle, möchte ich bei meinem (hoffentlich baldigen) ersten Japanaufenthalt besuchen!

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