BlogGlück für arme Schuldner?

Glück für arme Schuldner?

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Takefuji En-shopDem ganzen Verbraucherkreditwesen geht es ja nun seit geraumer Zeit schon ziemlich schlecht in Japan, was oberflächlich betrachtet eigentlich absurd ist: Die Talfahrt der Wirtschaft sollte doch logischerweise den Kreditunternehmen mehr Kunden in die Arme treiben. Jedoch: Seit Jahren zieht die Regierung in Japan die Daumenschrauben an – zum Beispiel mit der Option für Privatpersonen, Bankrott anzumelden (mit weitreichenden Folgen: Zwar werden den Personen die Schulden erlassen, aber sie bekommen danach auch für lange Zeit keine Kreditkarten oder Kredite mehr, und ohne Kreditkarte lebt es sich in Japan nur halb so praktisch).
Die Talfahrt wurde zudem verstärkt durch den Bankrott zahlreicher kleiner Unternehmen oder Unternehmen, die dank der Kreditaufnahme der Firmenchefs als Privatperson gerade so liefen. Ein weiterer Schlag war zuvor die 2006 in Kraft getretene Gesetzesnovelle bezüglich der Kreditanstalten, wonach der maximale Zinssatz nur noch 20% p.a. (vorher 29,2%, und ein paar Jahre davor sogar noch höher) betragen darf.
In Japan – es sei hier angemerkt, dass es hier in der Regel keine Dispokredite gibt – ist die Inanspruchnahme solcher Kreditinstitute keine Seltenheit. Laut Finanzministerium hatten im März 2008 rund 1,1 Millionen Menschen, also ca. 1% der Bevölkerung, Geld bei 5 oder mehr Instituten gleichzeitig geliehen – und 3,78 Millionen bei 3 oder 4 Instituten. Die Firmen warben schon immer und auch noch heute auf Teufel komm raus um neue Kunden, darunter mit Angeboten wie 0% Zinsen falls man innerhalb einer Woche zurückzahlt, Kreditbewilligung innerhalb weniger Stunden und ohne am Schalter stehen zu müssen (unbemannte Automaten) usw. usf. Die Firmen ermöglichen den Menschen hier quasi, was die Banken in Deutschland zum Beispiel ihren Kunden mit den Dispokrediten ermöglichen.
In Japan sprach und spricht man von den 6 grossen Verbraucherkreditinstituten, die sich einst sogar mal zu einer Union mit der Abkürzung TAPALS zusammenschlossen – diese Abkürzung steht für die Initialien der Unternehmen: Takefuji, Acom, Promise, Aiful, Lake und Sanyo. Von Sanyo einmal abgesehen, sollten diese Namen jedem ein Begriff sein, der auch nur ein paar Monate in Japan verbracht hat, denn die Namen sind allgegenwärtig.
Die neue Gesetzeslage und permanent rote Zahlen zwangen jedoch Ende September 2010 das T in TAPALS, also Takefuji (deren Automaten/Läden sind als ¥ SHOP bekannt) in die Knie: Das einst gewaltige Kreditinstitut meldete Bankrott an – zum Leidwesen der Kunden freilich keinen kompletten Bankrott, sondern vorerst nur Bankrott im Sinne von Gläubigerschutz – das Unternehmen wird restrukturiert. Scheinbar gab es jedoch massive Probleme vorher: Man fand heraus, dass zahlreiche Kunden wohl zu viele Zinsen bezahlt haben. Die Kunden haben nun bis Ende Februar Zeit, etwaige Ansprüche geltend zu machen. Und so wird versucht, die Kunden zu finden: Über TV-Spots, Werbung in Bahnen usw. Die Hälfte der Anzeigen führt jedoch letztendlich zu Anwaltskanzleien, die hier ihr Geschäft wittern.
Man darf gespannt sein, wie sich das Geschäft weiterentwickeln wird, denn diese Art des Privatpersonenkreditwesens ist eine typisch japanische Eigenart und durchaus in der Lage, die wirtschaftliche Situation in Japan zu ändern. Wahrscheinlich aber nicht unbedingt zum Guten – einige der Big Player sind sogar an der Börse dotiert und können somit durchaus bei weiteren Bankrotts einen grossen Einfluss auf den Aktienmarkt haben.
Das Wort des Tages: サラ金 sarakin. Umgangssprachlich für Privatpersonenkreditgeber. Setzt sich aus „sarariiman“ (Angestellter) und kin’yū (Finanzen, Kredit) zusammen. Der offizielle Begriff lautet jedoch 消費者金融 (shōhisha kin’yū – Verbraucherkredit(anstalt)). Die englische Version der Wikipedia hat dazu einen gut zusammengefassten, kurzen Artikel – siehe Wikipedia (en): Sarakin.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

1 Kommentar

  1. Privatbankrott nennt sich hierzulande Verbraucherinsolvenz. Diese dauert ca. sieben Jahre und man ist raus aus den Schulden. Während der Insolvenz darf man sich keine neuen Schulden leisten und danach hat man eine weiße Weste.

    Großes Mitgefühl habe ich mit den Banken nicht. Wenn ich mir die Konditionen anschaue, dürften wohl Ausfälle mit eingeplant sein (20% Zinsen bei quasi 0% Beschaffungskosten finde ich schon nicht schlecht).

    Ich schätze, dass fast jeder mindestens eine Kreditkarte und damit mindestens ein Darlehen oder Kredit bei einer Bank hat. Und das ist das große Geschäft der Banken. Wer meint, jemanden dann einen fünften oder noch mehr Kredit zu geben muss eben damit rechnen, dass dieser dann ausfällt. Bei aber nur 5% Bevölkerungsanteil (wieviel wäre das eigentlich auf die arbeitende Bevölkerung umgerechnet?) sollte dieses Risiko aber eigentlich überschaubar sein. Wer weiß, was hinter den Schwierigkeiten noch so steckt.

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