BlogTPP - Ende des horrenden Protektionismus?

TPP – Ende des horrenden Protektionismus?

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Momentan ist in Japan politisch gesehen einiges in Bewegung – vom 13. bis zum 14. November findet zum Beispiel das wichtigste Treffen der APEC-Asia-Pacific Economic Cooperation in Yokohama statt. Dort nehmen die Ministerpräsidenten bzw. Präsidenten zahlreicher Pazifikanrainer teil – eine gute Chance für den japanischen Ministerpräsidenten, den in den letzten Wochen vollkommen an den Wand gesetzten Wagen der japanischen Aussenpolitik wieder zu richten: Der chinesische Staatspräsident Hu Jintao hat sich ebenso wie der russische Präsident Medvedev angekündigt, und mit beiden gibt es einiges zu besprechen – vor allem über den neu entfachten Streit um die Südkurilen mit Russland und den Zoff um die Senkaku-Inseln mit China. Man darf gespannt sein.
Interessant ist auch der Vorstoss einiger Pazifikanrainer, darunter die USA und Australien, eine neue Freihandelszone namens TPP – Trans-Pacific Partnership zu schaffen. Japan grübelt momentan heftig, ob es der Zone beitreten soll. Man hört bereits von allen Ecken und Enden, dass Japan eine wichtige Chance verpasst, wenn es nicht beitritt. Jedoch: Sollte Japan wirlich der TPP beitreten, müsste es die zahlreichen, horrenden Einfuhrzölle für diverse Lebensmittel aufheben. Die sind nicht ohne: Laut 農林水産省 (Ministerium für Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischereiweisen) liegen die Importzölle für ausgewählte Waren bei folgenden, schwindelerregenden Höhen:

Rindfleisch	   38%
Weizen		  252%
Butter		  360%
Reis		  778%
Konnyaku	1'706%

Ja, Protektionismus wird in Japan gross geschrieben: PROTEKTIONISMUS. Sollten diese Zölle kippen, dürfte dies sehr viele Verbraucher freuen – allerdings auch viele Produzenten ärgern. Schon lange ärgert man sich in Japan über die geringe Selbstversorgungsrate (die besagt, zu welchem Anteil ein Land sich selbst ernähren kann: Auf Kalorienbasis liegt diese Rate gerade mal bei 40% (2009, Quelle: Obiges Ministerium, siehe hier). Mit Abschaffung der Zölle wird diese Rate mit Sicherheit nicht ansteigen: Ohne Protektionismus stirbt die Landwirtschaft in Japan aus – das wäre wahrscheinlich vermeidbar, aber ein Rezept scheint man noch nicht gefunden zu haben.
Das Wort des Tages: 保護主義的 hogoshugiteki. Schützen – ismus – Adjektivendung. Protektionistisch.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

8 Kommentare

  1. Kein Wunder, dass selbst Reis in Japan so teuer ist, wenn die ausländische Konkurrenz ausgeschlossen wird.
    Ich würde mich über einen Beitritt Japans ins TPP freuen, zumal es die Möglichkeit bietet, neue internationale Handelsbeziehungen zu knüpfen. Andererseits kann ich auch die Urangst der japanischen Politik verstehen, dass das eigene Land sich nicht selbst mit Nahrungsmitteln versorgen kann.
    So oder so scheint mir wichtig, dass die japanische Regierung mal aktiv handelt: Wenn sie die Wirtschaft ankurbeln wollen, sollten sie den politischen Einfluss der Landwirte schwächen und dem TPP beitreten. Wenn sie die Landwirte schützen wollen, sollten sie sich um Nachwuchs in diesem Sektor kümmern. Entscheidungen vertagen ist hier wohl jedenfalls nicht der richtige Schritt.

  2. Nicht, dass ich die japanische Agrarpolitik in Schutz nehmen wuerde, aber um den Beitrag mal in Perspektive zu setzen:

    1) Japan ist bei weitem nicht die einzige Industrienation, die ihren Agrarsektor mit Einfuhrzoellen subventioniert. Korea, die USA (in bestimmten Feldern) und Europa sind da nicht besser.

    2) Die USA haben schon mehrfach versucht, den japanischen Markt fuer Importe zu oeffnen, was zu dem absurden Reishamstern der japanischen Regierung gefuehrt hat. Unter Gatt/WTO-Bestimmungen muss Japan naemlich eine Mindestmenge Reis importieren, die dann aber – Gott bewahre – nicht etwa in Japan verkauft und verspeist wird, sondern irgendwo lagert und dann fuer wenig Geld fuer industrielle Produktion verhoekert wird. Letztes Jahr haben wir gesehen, dass das leider nicht immer ganz so klappt …
    Mal sehen, ob die USA es diesmal schaffen, einen Fuss in den japanischen Markt zu setzen. Speziell Kalifornien hat da Interesse dran, da man dort die Sorte Japonica in groesseren Mengen anbaut.

    Und was die „horrenden“ Importzoelle angeht:
    Ich wuerde die Agrarimportpolitik nicht einfach nur als Gemisch aus politischem Filz und nationalistischen Mythen abtun. Da ist sicher viel dran, aber es hat eben durchaus auch positive Auswirkungen.
    Wenn die Zoelle wegfallen, kann man davon ausgehen, dass die vielen, vielen kleinen und unrentablen Reisbauern (u.a.) den Anbau einstellen und viele Menschen auf dem Land arbeitslos werden. Da das Gefaelle zwischen Land und Stadt in Japan gewaltig ist und Japan ganz nebenbei das einzige Industrieland (soweit ich weiss) ist, in dem die Urbanisierung weiter vorranschreitet, wuerde das zu einem weiteren Aussterben des Landlebens in Japan beitragen.

    Wenn ich mich fuer oder gegen das Ende der Zoelle entscheiden muesste, waere ich allerdings trotzdem dafuer sie abzuschaffen, da ich denke, dass der derzeitige Zustand fuer Japan weder von Vorteil noch auf Dauer haltbar ist.

  3. Hm, hast du zufällig auch die Importzölle für Alkohol parat? Ich erinnere mich, dass diese ebenfalls immens waren (was meine Geschäftsidee zunice machte :-) )

    So nebenbei meine ich aber trotzdem, dass die Bauern in Japan nicht aussterben würden. So viele Japaner legen ja doch immensen Wert darauf „echten japanischen“ Reis zu essen, die Billigkonkurrenz aus Thailand (deren Reis wirklich gut ist) würde dann zwar Fuss fassen können, aber die Feinkost-Kultur trotzdem nicht verdrängen. Zumindest kurz- bis mittelfristig.

  4. In der Schweiz herrscht ein ähnlcihes Problem.
    Ich bin eigendlich auf Lori’s seite. auch wenn gewisse dinge teuer sind, das geld bleibt zu mindest in Japan, ebenso die arbeitskräfte.
    Wenn ich kein Geld habe dann nehme ich auch billige importe. aber so lange es irgendiwe geht möchte ich schon bei eigenmarken bleiben, wo ich weiss das die Qualität/Arbeitsbedinungen auch stimmen.

    aber da ich noch zuhause wohne kann ich die Lebenskösten kaum vergleichen. Aber generell (abgeshen von Früchten) finde ich Nahrung in Japan (im vergleich zu der Schweiz) sowie so billig.
    [Ich weiss die Schweiz ist nicht, gutes vergleichsland für Lebenskosten].

  5. Welchen Vorteil hätte denn Japan aus dem Aufgeben dieser Zölle? Wieviel mehr würden die anderen Pazifikanrainer aus Japan importieren? Was kann ihnen Japan denn (zu Preisen die in diesen Ländern Konkurrenz machen können) anbieten?

    Ich wäre schwer dafür dass Japan diese Zölle behält.
    Der Glaube die Japaner würden weiterhin auf ihre eigenen Produkte bestehen ist utopisch.
    Das mag eine Generation lang gut gehen, aber bereits die nächste wird mit den neuen billigeren Produkten aus dem Ausland aufwachsen.
    Diese Entwicklung kann man in zig Ländern beobachten. z.B. Deutschland.

    Insbesondere wenn so ein Vertrag auf Drängen der USA zustande kommt, sollte die Rechnung ganz akribisch geprüft werden. Günstigere Einkaufspreise für Japaner stehen da sicherlich nicht sehr weit oben auf dem Wunschzettel.

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