BlogEs mal richtig krachen lassen

Es mal richtig krachen lassen

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Da habe ich mich also gestern, Freitag nacht, zu einer „German Metal Party“ getrollt. Wieso? Der Freund einer Bekannten von uns organisierte das Ganze, und meine Frau sagte deshalb „schau doch mal rein – ist zudem gleich in der Nähe Deines Büros“. Besagten Freund unserer Bekannten hatte ich zwar noch nie getroffen, aber es soll ja nicht an Gelegenheiten für eine etwas andere Party mangeln. Interessant wurde das Ganze zumal dadurch, dass die Party erst um 23:45 begann – nachdem der letzte Zug quasi fast schon abgefahren ist.
Nun habe ich einen recht breitgefächerten Musikgeschmack – ausser Schlager kann ich mich so ziemlich für fast alles begeistern. Auch Heavy Metal gehört seit jeher zur Speisekarte, obwohl ich in diesem Bereich noch nie grosser Fan von Alt- und German Metal war. Aber egal. Hier also der Plan: Ich arbeite am Freitag von 10 Uhr morgens bis Mitternacht und wandere dann zur Party, um etwas Spass zu haben. Da dann keine Züge mehr fahren, bleibe ich dort bis 5 Uhr oder so und fahre dann mit dem ersten Zug zurück.
Gesagt – getan. Auf zum Veranstaltungsort – der ist in B2 (zweites Kellergeschoss). Der Ort war schnell gefunden, und ich dachte, ich hatte mich geirrt: Man hörte vor der Eingangstür gar nichts. Aber die Tür war offen. Eintritt für Nichtmitglieder des Clubs: 3’000 Yen (also 23 Euro). Drinnen ist es ziemlich dunkel, es gibt ein paar Tische und an jenen sitzen so um die 25 Gestalten. In der hinteren, linken Ecke steht ein DJ-Pult, und es gibt eine kleine Bühne. Bier geholt (und das schmeckt nach 14 Stunden Arbeit besonders gut) und an einen kleinen Tisch gesetzt. Vielleicht geht’s ja bald los?
Wie es sich schnell herausstellte, wurde das Ganze von der sogenannten メタル会 der „Vereinigung Metal“ organisiert. Und die schienen sich alle zu kennen. Abwechselnd griffen eins, zwei oder drei Leute gleichzeitig zum Mikro und … erzählten, wo sie wann wie und weshalb mal welches Album gehört haben, von wem sie sich Platten geliehen hatten usw. Wann wer vom Verein mit wem gegrillt und dabei laut Musik hörte. Alle 10 Minuten oder so wurde das Palaver dann unterbrochen – dann ging einer mit seinem iPod zum Mischpult, klemmte jenen an den Verstärker und spielte… sein Lieblingslied. Das Licht wurde dabei ausgemacht, und so konnten alle in Ruhe eben jenen Titel von Halloween, Accept, Scorpions und was weiss ich wem degustieren. Dann wieder Licht an, irgendein Zwischenrufer „Tolles Album! Das hatte sich 220’000 Mal verkauft“ usw.
Es war der Wahnsinn. Ich bin einiges gewohnt an Otaku-tum und Organisiertheit in Japan, aber in der Metal-Ecke hätte ich ein bisschen was Anderes erwartet – nein, keine Orgien, auch kein Headbanging, aber bestimmt nicht eine Veranstaltung, bei der man 3’000 Yen löhnt, um zuzuhören, wie sich ein Haufen Kumpels, die sich schon aus der Schulzeit kennen, Heavy Metal schlichtweg totquatschen. Leute, es ist Heavy Metal! Und es ist Freitag Nacht? Wie wär’s mal mit sich ein kleines bisschen gehen lassen? Nein, da wird bedächtig am Tomatensaft genippt, während Halloween bei 120 db durch den Raum dröhnt.
Ende vom Lied – keine knappe Stunde habe ich es ausgehalten. Danach noch ein Pint bei einer Stammkneipe gleich in der Gegend (nun gut, da bin ich auch nur maximal drei Mal im Jahr) und dann mit dem Taxi für 9’000 Yen nach Hause. Der Taxifahrer hat den Abend dann noch halbwegs gerettet: Er war sehr alt, aber sehr interessant (und aus Okinawa). Er gehörte zu der Sorte Menschen, die nach wenigen Sätzen Nationalitätenunterschiede über Bord werfen können, was recht interessante Einsichten brachte.
Dabei sollte ich jedoch anmerken, dass man in Japan auch richtig gute Partys machen kann. Kann mich da spontan noch an ein Drum’n’Bass-Event 1998 in Shinjuku erinnern – das war richtig gut (es gab freilich noch mehr gute Veranstaltungen). Wofür ich am vergangenen Freitag jedoch 3’000 Yen bezahlt hatte, bleibt mir ein Rätsel.
Das Wort des Tages: 失敗 shippai – der Reinfall.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

11 Kommentare

  1. „keine knappe Stunde“ nah immer hin. Wie heißt es doch so schön „Der Anschiss lauert überall.“ ;-)

    Ich hätte wahrscheinlich das Bier ausgetrunken und dann wäre es das gewesen.

    fuji rock festival 2010 ist zum Beispiel so was wo die Kuh das Fliegen lernt. :-)

  2. Wie ich letztens schon bemerkte rechnen die meisten D-Japaner (oder J-Deutsche?) Euro/Yen immer noch ca. 1:130, aber die traurige Wahrheit heißt mittlerweile 1:110. Verdammt wird der Urlaub teuer werden, wenn nicht bald was passiert, 1:160 wird wohl nicht so bald wiederkommen :(

  3. Huiuiui, bis zu dem Bericht war ich sogar noch neidisch – Glück gehabt ;)

    @gojir 1:160 war aufgeblasen wegen den US Immobililien. 1:110 ist kein hoher Yen sondern ein niedriger Euro. Absolut normal sind 1:125 – 1:130.

  4. Haha!
    Was hast du erwartet? Hast du hier schonmal Autoradio gehoert? Stundenlanges Gefasel und ab und zu mal ein Song, der dann aber auch oefters fuer Werbung ausgeblendet wird. Echt uebel!
    Mein Tip fuer Metalfans:
    GODZ in Shinjuku (http://www.metal-godz.com/)
    Klein aber fein. Und man trifft jede Menge irre Leute dort.

  5. Wusste gar nicht, dass die Metaller son’ne Labertanten sind. Also ich hätte mir den A***h wund geärgert, spät Abends einen schönen Eintrittspreis zu zahlen und dann ’ne Infoveranstaltung geboten zu bekommen. Soweit würde meine Toleranz zum Truemetal (oder wie auch immer) nicht gehen. Da gibt es bessere Spielarten des harten deutschen Rock’n Rolls.

    Vielleicht lag es aber auch an dem Wochentag (vgl. vorheriger Artikel;))!

  6. Hammer!
    Deutscher Metal hat in Japan jahrzehnte lang ein Stein im Brett.
    Der saubere speed metal-Einschlag den X-Japan neben ihrem visual kei bzw. glam rock style hatten, ist nicht zuletzt auf die Popularität teutonischen Metals (Blind Guardian usw.) in Japan zurückzuführen.
    Das Treffen klang zwar nicht nach großartiger party, aber dafür nach einem feinen Konzept für einen gemeinsamen nostalgischen Rückblick.

    :-)

  7. hallo lieber taibibito!! ich bin seit ca. einem halben jahr deinem blog verfallen, du lieferst supereindruecke ueber das land und seine bewohner respekt! ich plane selber naechstes jahr hinzufliegen und mir die gegend anzusehen!!! war sehr erstaunt zu lesen das du musikalisch auch nicht vor drum and bass zurueckschreckst :-) mach weiter so!!!!! gruesse aus dem fernen Braunschweig

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