BlogJapans freie Presse in Gefahr?

Japans freie Presse in Gefahr?

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Vorgestern trafen in vier verschiedenen Niederlassungen der NHK (staatliche Japanische Rundfunkanstalt) Postsendungen mit jeweils dem gleichen Inhalt ein: Ein Blatt Papier, auf dem „赤報隊 Sekihōtai“ (Rot-Überbringen-Brigade) geschrieben stand. Und – auf dem Papier war jeweils eine Gewehrpatrone festgeklebt. Aufgegeben wurden die Schreiben mit dem gleichen Zustelldienst vom gleichen Distrikt in Tokyo. Blitzschnell mutmasste die Polizei, dass die vier Schreiben etwas miteinander zu tun haben könnten. Das interessante an der Geschichte: Die Adressen der Rundfunkanstalten waren teilweise veraltet – die der Niederlassung in Fukuoka war bis 1992, die in Nagano bis 1998 gültig.
Am Sonntag, also einen Tag vor den Schreiben, ging zudem eine kleine Bombe in der NHK-Filiale von Fukuoka hoch. Verletzt wurde keiner, es war eher ein kleiner Sprengsatz und offensichtlich nicht dazu gedacht, ernsthaft jemanden zu schädigen.
Man tappt momentan vollends im Dunkeln – keiner weiss, wer es war und warum. Aber schaut man zurück, fallen zwei Ereignisse auf: Zum einen der sogenannte 赤報隊事件 (Sekihōtai-Vorfall) von 1987 bis 1990: Damals wurde der Asahi-Zeitungsverlag Opfer einer Reihe von Anschlägen. Zahlreiche Filialen des Verlages wurden dabei Ziel von Bombenanschlägen – ein Reporter in der Kansai-Filiale wurde dabei getötet. Auch andere Insitutionen bzw. Personen wurden von der gleichen Gruppe bedroht: Unter anderem der damalige Ministerpräsident Nakasone und eine Einrichtung der Koreaner in Aichi.
Alle Fälle haben eins gemeinsam: Sie konnten niemals aufgeklärt werden. 2008 verjährte die letzte der Straftaten – der tödliche Angriff auf die Kansai-Filiale.
Nicht nur, dass nichts aufgeklärt werden konnte – es wird nachwievor wild spekuliert. Ist diese „Rote Nachrichtenbrigade“ vom linken Rand? Oder vom rechten Rand? Haben ausländische Kräfte ihre Hand im Spiel? Viele glauben es zu wissen, aber keiner kann etwas beweisen.
Schauen wir noch weiter zurück: 1868, zu Beginn der Meiji-Restauration, wurde eine Vereinigung namens Sekihōtai gegründet. Erst von Anhängern des Bakufu als Sammelbecken von Reaktionären gegründet, spielten sie eine grosse Rolle im Bakumatsu-Bürgerkrieg damals. Die Brigade bestand aus drei Truppen. Sie zogen – mit Zustimmung der neuen Regierung – durchs Land und versuchten die Bürger, mit Aussicht auf erhebliche Steuererleichterungen auf die Seite der neuen Regierung zu ziehen.
Von den versprochenen Steuererleichterungen (für das Protokoll: 年貢半減 (nengu hangen – Halbierung der Jahressteuerlast) gab es jedoch keine schriftlichen Beweise und sie wurde nicht eingehalten. Nun beschuldigte die Regierung die Rote Brigade und nannte sie eine 偽官軍 (nisekangun) – eine „Falsche Armee“, die eigentlich gegen die Regierung arbeite.
Der Anführer der ersten Truppe wurde daraufhin hingerichtet. Die zweite Truppe liess sich in die Armee eingliedern und gesellte sich zu den Patrioten. Die dritte wurde gnadenlos verfolgt – sie waren als plündernder und marodierender Haufen berüchtigt.
Es bleibt jedenfalls spannend, zu sehen, was kommt: Haben die jüngsten Ereignisse etwas mit den Namensvettern in der Vergangenheit zu tun? Sind es nur Trittbrettfahrer? Was wollen sie eigentlich?
Das Wort des Tages: nazo. Das Rätsel.

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tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

7 Kommentare

  1. Da nutzt jemand die derzeitige Wirtschaftskrise und somit das unwohl der Menschen, um Ärger zu stifften, wäre intressiert das weiter zuverfolgen.

  2. wenn fälle nicht geklärt werden können, dann in der regel weil sie gut gedeckt werden. wer könnte da interesse an sowas haben? doch sehr spannend. da fällt mir spontan dazu ein: werden nicht demnächst die kennedy-akten zugänglich gemacht? ;-)

  3. Ein äußerst interessanter Insiderartikel. Als Japannichtkenner musste ich erst mal Hintergrundinformatinen sammeln. Die Frage nach rechter Rand oder linker Rand stellt sich glaube ich nicht. Sekihoutai ist da wohl genau plaziert und der linke Rand wird sich doch wohl einen so eindeutig positionierten Namen nicht aufsatteln.

    Für mich entzieht sich noch der Zusammenhang zur Gefahr für die Pressefreiheit. Wie sehen das denn andere Rundfunkanstalten und Verlage? Fühlen die sich bedroht? Oder wird es mehr oder weniger allein mit der NHK oder dem japanischen Staat in Zusammenhang gebracht?

  4. @Christian
    Eben nicht. Deswegen habe ich keine weiteren Verdächtigen genannt. Michael’s These ist eine von vielen, weshalb ich die auch nur unkommentiert im virtuellen Raum stehen lasse.

  5. Wirklich interessant, aber eine mögliche Verbindung hast du eventuell vergessen.
    Ein Wort das man auch als Ausländer vorsichtig nutzen sollte nämlich der Zusammenhang mit den offiziell nicht mehr existierenden aber leider doch noch allgegenwärtigen „Burakumin“.
    Und gerade die Sekihoutai soll darin ihre Wurzeln haben.

  6. Da geht’s ja zu. Also ich weiß nicht ob ich da leben möchte. Wenn ich mir das so ansehe, dann würde ich dort nicht leben wollen. Mir stellt es da alle Haare auf wenn ich lese, dass dort eine Patrone mit auf den Zettel geklebt worden ist. Und dann auch noch eine Bombe. Das ist ja wirklich krass. Wie kann man da noch ruhig schlafen? Das geht doch gar nicht mehr oder? Ob es Trittbrettfahrer sind kann ich nicht sagen, aber ich glaube schon. Ist aber nur eine Vermutung.

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