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Dieses Wochenende war wieder ein langes Wochenende – davon strotzte es nur so in diesem Jahr – denn Montag war Feiertag. Was für ein Feiertag? „Tag des Dankes für Arbeit“. Hah. Und der Tag muss natürlich abgefeiert werden.
Also, langes Wochenende, schönes Herbstwetter – zumindest am Sonntag – und was macht man da am besten? Wegfahren. Nach Kamakura, der alten Hauptstadt, praktischerweise nur 1 h von Tokyo mit dem Zug entfernt. Ich war bestimmt schon 5 mal dort, aber nicht in den letzten 10 Jahren. Der Zug war recht voll, als wir in Tokyo zustiegen. „Die meisten fahren bestimmt nur bis Kawasaki oder Yokohama“, dachte ich. Danach „naja, oder bis Ofuna, wer weiss“. Nix. Die fuhren fast alle nach Kamakura. Schon vor der Einfahrt in den Bahnhof wurde im Zug davor gewarnt, dass es im Bahnhof recht turbulent sei.

Daibutsu von Kamakura

Das war untertrieben. Es war ebenbürtig mit Shinjuku – dem Bahnhof in Tokyo, in dem alltäglich 4 Millionen Menschen umsteigen – zur Stosszeit. Eigentlich wollten wir in eine kleine Bahn umsteigen und weiterfahren, aber das war völlig ausgeschlossen – auf dem Bahnsteig stapelten sich die Menschen. Die Benutzung der Bahnhofstoiletten war mangels eines Schlafsackes auch aussichtslos.
Also laufen. Wie zehntausende andere auch. Auf die Karte brauchte man nicht schauen – wir folgten den Ameisen. Die Autos stauten sich in der ganzen Stadt.
An der Hauptattraktion, dem Daibutsu, bildeten sich endlos lange Schlangen von Menschen, die dem Buddha in den Hintern kriechen wollten (um aus dem Rücken herauszuschauen). Im Hase-Tempel ging es zu wie bei Don Quijote (japanische Woolworth-Variante) beim Räumungsverkauf. Wir kamen an einem Polizisten und einer alten Frau vorbei, die sich unterhielten. Die alte Frau klagte: „So schlimm war es schon lange nicht mehr. Man traut sich als Anwohner gar nicht auf die Strasse“.
Irgendwann liefen wir geschafft zum Bahnhof und wollten irgendwo verschnaufen – Kind hatte Hunger, Mama war fix und fertig und Papa lechzte nach Kaffee. Nach einer halben Stunde warten hatten wir einen Platz. „Warum sind die Angestellten trotz des Hochbetriebes so extrem freundlich?“ fragte ich mich noch so, bis ich die Rechnung sah: Würde ich für zwei Stück Kuchen, zwei Kaffee und ein Glas Milch 3,600 Yen (30 Euro) verlangen, wäre ich auch sehr, sehr freundlich. Ich würde vielleicht sogar lächeln.
Gottseidank mussten wir nicht zurück, sondern fuhren in die andere Richtung zum Übernachten – nach Yokosuka. Gottseidank. Nie wieder Kamakura an einem milden Herbstsonntag!
Das Wort des Tages: 三連休 sanrenkyū – drei-folgende-Urlaub. Langes Wochenende. Bei vielen Feiertagen in Japan gilt: Fallen sie auf ein Wochenende, ist der folgende Montag frei. Im September gab es das zwei Mal, im Oktober ein Mal und im November wieder zwei Mal. Recht praktisch. Eigentlich.

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tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

9 Kommentare

  1. Ist das Rausschauen aus dem Rücken des Buddhas wirklich möglich gewesen?
    Ich war vorletzten Freitag in Kamakura (14.11.) und man konnte zwar hinein, aber die Treppe im Innern zu den Fenstern war gesperrt und machte auch keine guten Eindruck.
    Auch wenn es da nicht annähernd so voll war, so konnte man auch da den Massen folgen.
    Interessant fand ich die blaue Beleuchtung des Hasedera Tempels am Abend anläßlich des Weltdiabetistages.

  2. Erst mal mein Mitgefuell liegt ganz bei dir hab so etwas zum Hanami durch gemacht, von da an hab ich Kamakura nur noch auf gesucht wenn nichts los war. Kaum Menschen nur die ganzen Schreine, Tempel und ich…

    Gibt es eigentlich so etwas wie einen Besucheransturmvorhersagedienst. In einem Land wo die Kirschblüte und Laubfärbung wie in einen Wetterbericht kund getan wird. Da muss es doch auch eine Besuchervorhersage geben!?
    Gruss A. & E.

  3. @Juergen

    Ganz im Gegenteil, hier gibt es auch Herbst. Aber in Kamakura etwas später und weniger spektakulär mangels Ahorn.

    @Johannes
    Weiss nicht, ob es noch geht – wir haben uns nicht angestellt. Vor 10 Jahren ging es jedenfalls noch.

    @Blueschi
    Das wär doch mal ’ne Idee! Das wir nicht allein sein werden, war uns ja schon klar, aber solche Menschenmassen haben selbst mich überrascht, und ich bin da einiges gewohnt…

  4. Ok wir können ja an anderer Stelle über die Idee Plaudern. Ich denke mal bis schon geheilt und machst den nächsten Ausflug nach Kamakura nur zu einen Zeitpunkt wo alle anständigen Japaner Arbeiten gehen ;-)…

  5. Die Feiertage fallen bei euch auf ein Wochenende und dann ist der Montag frei? Ich bin dafür, dass man sowas überall einführt, das wäre doch mal ne richtig gute Maßnahme :)

    Mein Beileid für den vollen Andrang in Kamakura, aber das Wetter fanden wohl die meisten zu schön, um einfach daheim zu bleiben.

  6. @tabibito
    Hab ja extra auf meinen eigenen Fotos geschaut, ob das im Hintergrund wirklich Laub- und keine Nadelbäume sind. Bei uns in D ist seit mehreren Wochen alles kahl.

  7. Die Pilgerzug hoch zum Takaosan wäre bestimmt auch was für dich ;-) Haben ich am Montag gemacht, war sicherlich ähnlich, nur halt steil den Berg hoch…

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