BlogKehrtwende in Japans Ausländerpolitik?

Kehrtwende in Japans Ausländerpolitik?

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So langsam scheint es auch den regierenden Politikern in Japan zu dämmern, dass ein Land, dessen Bevölkerung die höchste Lebenserwartung der Welt – dazu aber eine sehr geringe Geburtenrate hat, in Zukunft etwas schwieriger zu Ruhm und Segen zu führen sein könnte als es bisher der Fall war.
Das Umdenken manifestiert sich in einem Gesetzesentwurf, den ranghohe Vertreter der regierenden LDP am 12. Juni vorlegten – diese Woche soll er beim Ministerpräsidenten eingereicht werden. Ziel des Gesetzes: Innerhalb der nächsten 50 Jahre 10 Millionen Einwanderer nach Japan bringen. In 2006 lebten in Japan gerade mal 2.08 Millionen Einwanderer hier – das sind 1.6 % der Gesamtbevölkerung und, verglichen mit den anderen Industriestaaten, extrem wenig (in Westeuropa sind es häufig mehr als 10%).
Wie will man das anstellen? Bisher waren die Regeln recht strikt: Nur absolute Spitzenfachkräfte waren willkommen. Ansonsten musste man schon japanische Grosseltern haben oder einheiraten. Jetzt sollen auch weniger gut ausgebildete Einwanderer, ja, womöglich sogar Flüchtlinge zugelassen werden. Es soll einfacher werden, eine Daueraufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Studenten sollen maximal 5 anstelle der bisherigen 3 Jahre bleiben dürfen. Ausländer sollen besser integriert werden (vor allem besseren rechtlichen Schutz erfahren) und die japanische Kultur soll mehr im Ausland verbreitet werden (Klasse, noch mehr Mangas…).
Bevor das Gesetz wirklich verabschiedet wird, bleibt es freilich jedem überlassen, über die Folgen zu sinnieren. Aber sollte dies wirklich durchgesetzt werden, dürfte sich die japanische Gesellschaft grundlegend ändern. Schau’n wer mal!
Das Wort des Tages: 少子化 – shōshika. Bedeutet wenig-kind- -ung. Der Trend zu einer geringen Geburtenrate. Momentan liegt die Rate der Kinder pro Frau bei 1.22 – man braucht aber ca. 2.2 zum Artenbestand (Bestand wohlgemerkt, nicht Wachstum). Deutschland hat immerhin 1.41 (Zahlen geschätzt für 2008, CIA World Factbook).

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

11 Kommentare

  1. Klingt doch recht interessant. Sicher mag das nicht nur Vorteile mit sich bringen, wenn auf einmal eine Ausländerschwemme kommt. Aber ich persönlich finds schön.

    Und zu dem Thema hätte ich auch gleich mal ne Frage: Ich plane ja auch eines Tages nach Japan umzusiedeln. Ob nun zeitig begrenzt oder doch erstmal ohne geplantes Ende sei erstmal dahin gestellt.
    Bisheriges Problem ist, dass ich nunmal nicht der hellste Deutsche bin. Will heissen, dass ich kein Abitur hab und folglich auch nicht studieren kann. Habe zwar ein Fachabi mit eher mäßigen Noten (Fachrichtung BWL) und schlage jetzt eine doch ganz andere Richtung ein. Dieses Jahr beginne ich eine Ausbildung zum Industriemechaniker (ehemals Betriebsschlosser) bei der Stadt Dortmund.
    Jetzt ist die Frage, wie die Chancen stehen in Japan einen Job in diesem Bereich zu bekommen? Und vorallem, wie gut lässt sich dort davon leben?
    Dass man als studierter „Geek“ (sorry ;)) verhältnismäßig gute Chancen hat, ist klar. Aber wie siehts eben mit dem gemeinen Handwerker aus?

    Würd mich freuen wenn du dazu Auskunft geben könntest. ;)

  2. Mal ganz davon abgesehen, was daraus möglicherweise (nicht) wird – allein dass ein solcher Gesetzesentwurf in Japan entstanden ist, zeigt doch schon einen Wandel.

  3. Ist ja mal eine positive Nachricht. Kommen würde ich ja gerne, nur dort arbeiten nicht (wie sieht denn das Sozialsystem aus ;-). Höchstens dort selbstständig machen. Wie sieht den der Markt für Fußgängerampelklingelzeichenkomponisten aus? ;-)

  4. Joerg: Guck mal in deutschen Japan-Foren, wie z. B. embjapan.de, da wurde das Thema schon recht gut durchgekaut. :)

    Zum Thema: Ähm, joa. Also zuerst mal tabibito, mehr Manga können dich ja gar nicht stören, lebst du doch direkt an der Quelle. ;)
    Aber mir ist z. B. aufgefallen, dass die Japanfeste in Deutschland in den letzten Jahren ordentlich aus dem Boden geschossen sind – was aber wohl mehr durch Animanga und Sudoku hervorgerufen wurde als durch irgendeine gesetzliche Vorlage.

    Für den Westler wird sich an dem Gesetz (sollte es kommen) wohl nicht viel ändern, da die meisten Ausländer wohl immer noch aus dem fernöstlichen Gebiet kommen werden. Man wird also im jap. Hinterland als Europäer eine Quasi-Attraktion bleiben. ;)

  5. Klingt für mich eher wie ein verspäteter Aprilscherz, bzw. wie ein Politiker, der sich mal wieder in die Schlagzeilen bringen möchte.

    Da ich nächste Woche nach Tokyo ziehe und dann erstmal auf Arbeitssuche bin, kenne ich das aktuelle Problem mit längeren Visa nur zu gut und eine offenere Ausländerpolitik käme mir gerade recht. Trotzdem halte ich eine derartig massive Änderung der Einwanderungspolitik für ein Land, dass sich jahrhundertelang abgeschottet hat, nicht für wirklich gewinnbringend.

    Die Japanische Gesellschaft muss ich erst langsam an die steigende Zahl der Ausländer gewöhnen. Für eine erfolgreiche Integration ist die Bereitschaft beider Parteien (Ausländer und Japaner) notwendig, sonst kommt es zur Ghettobildung und verstärkter Ausländerfeindlichkeit.

    Gruß
    Markus

  6. Ach nö, Japan soll Japan bleiben.
    Es gilt von anderen Industriestaaten zu lernen und zu erkennen, daß die gesellschaftlichen Konflikte einer massiven Zuwanderung von „Ungebildeten“ die Wirtschaft und Konsumfreude durch Unzufriedenheit in der Lebensqualität eher lähmt.

    Bleibt abzuwarten, wie die Japaner auf eine massive Zuwanderung von „Ausländern“ reagieren, da sie ja nicht gerade zimperlich sind, wenn es um den Erhalt des japanischen Gemeinschaftswesens geht.

    Ich gehe sogar soweit zu sagen, daß der wirtschatliche Status Japans ausschliesslich durch die japanische Mentalität zu erlangen und zu erhalten ist.

    Die Zeit wird wohl auch bei diesem Thema Aufschluß bringen.

  7. Ich weiss nicht. Ich glaube fuer die Japaner waere das psychologisch schwer zu verkraften. Derzeit verdraengt man die Anwesenheit von Auslaendern im Land recht erfolgreich.

    Wenn es aber 4 – 5 mal so viele werden wie jetzt, wird das schwierig. Ich rechne in einem solchen Szenario mit stark rassistischen Reflexen.

    Uebrigens: „Artenbestand“ finde ich ein wenig ungluecklich formuliert.

  8. ich denke, Japan sollte weiterhin und noch stärker auf Roboter setzen (speziell in der Altenpflege) und sich langsam von 127mio auf sagen wir mal 60mio gesund schrumpfen. Ich glaube nicht, dass die Japaner einen höheren Ausländeranteil wirklich verkraften könnten. Zu starr die Regeln in der Geselschaft. Ein zwei Prozent, damit kann man ja knapp umgehen.. aber mehr? Rushhour in der U-Bahn mit Ausländer??? Die klauen doch alles… und stinken.. ne ne.. ich sage:ROBOTER

    cheers

    ps: ;)

  9. hm, finde ich sehr interessant. der spannendste aspekt dabei waere fuer mich, ob es dann auch endlich moeglich sein wird, nach japan nur ein „one-way“ ticket holen zu koennen ^^

    hm, ja, aba wo das schon mal angesprochen wurde, hast du nicht lust mal irgendwas zum thema „selbstaendige auslaender in japan“ zu schreiben, falls da irgendwelche infos vorhanden sind…

    artenerhalt ist wichtig, als hilfsbereiter auslaender helfe ich bei sowas sowieso immer gerne weiter ^^ (na, ich hoffe ich bringe das niveau der diskussion nicht zu weit runter)

    gruss, jaycup

  10. So einfach wie die Japaner sich das vorstellen wird das sicherlich nicht werden. Wenn die Gesetze bezüglich Einwanderung derart schnell und drastisch geändert werden wird Japan sicherlich ein Problem damit haben. (-> Ghettobildung ->steigernde Kriminalität etc.)
    Andererseits ist es für alle zukünftigen Einwanderer, und von denen scheint es ja wie man in einigen Kommentaren hier sehen kann einige zu geben, sicherlich erfreulich wenn die Einwanderungsbedingungen etwas gelockert werden.
    Zu dem Gesetz sollte Japan sich selbst für künftige Einwanderer auch attraktiver machen, denn als Land mit besonders günstigen Preisen gilt Japan ja auch nicht.

  11. @Joerg
    Ich muss Dir erstmal raten, Hamu-Sumo’s Tipp zu folgen. Ich werde bald einen langen Artikel dazu schreiben, aber das dauert noch eine Weile.

    @Okashi
    Allerdings! Das ist in der Tat sehr bemerkenswert.

    @Juergen
    Nur so viel: „Ostdeutsche Ampelmännchen“-Produkte verkaufen sich recht gut hier. Aber als Komponist für Bahnhofsmelodien könntest Du hier den einen oder anderen Yen verdienen ;-)

    @Hamu-Sumo
    Da hast Du recht. Obwohl die Zahl der „kaukasischen“ Ausländer auch enorm zugenommen hat: Vor 10 Jahren hat man sich selbst in Tokyo noch unbekannterweise auf der Strasse gegrüsst. Das ist heute kaum noch Mode. Es gibt einfach zu Viele ;-)

    @Sascha
    Sentimentalität und diverse Sorgen in Ehren – aber demographisch gesehen steuert Japan direkt auf eine Katastrophe zu. Das Land muss sich bewegen – es sei denn, es heiraten plötzlich alle und/oder haben viele, viele Kinder.

    @Lori
    ‚Artenbestand‘ ist bewusst gewählt. Man bemerke den ironischen Unterton. Ich verweise nur darauf, wie sehr viele Japaner auf die ach so besondere Homogenität der japanischen Bevölkerung verweisen.

    @Felix
    Na, da haben wir doch schon die Lösung! Sehr gut! Man arbeitet ja auch bereits daran.

    @Yoke
    Wie gesagt. Dies geschieht unter Zwang. Es muss schon sehr viel schiefgehen, damit die negativen Konsequenzen dieses Gesetzes, so in Kraft tretend, die negativen Konsequenzen eines Nicht-Inkrafttretens übersteigen.

    @Jakub
    Viel werde ich zur „Selbstständigkeit in Japan“ nicht schreiben können – ich arbeite bei einer Firma. Obwohl mich der Gedanke der Selbstständigkeit durchaus reizt…

    @Daniel
    Nun ja, das Preisargument zieht hier nicht so sehr – wer in Japan lebt verdient schliesslich japanische Gehälter. Und Armut gibt es in Japan genauso wie in Deutschland. Das mit der Ghettobildung ist jedoch in der Tat nicht ausgeschlossen – es gibt erste Tendenzen.

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