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1,4 Millionen Japaner in Quarantäne – Corona weiterhin stark verbreitet

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Seit zwei Wochen sind die Zahlen der Neuinfektionen in Tokyo im Vergleich zur Vorwoche rückläufig: Zählte man streckenweise bis über 40,000 Neuinfektionen pro Tag allein in der Hauptstadt, so sind es jetzt circa 10,000. Die Zahlen sind dennoch nach wie vor erschreckend. Am 31. August ging man davon aus, dass rund 1.4 Millionen Japaner mit einer Corona-Infektion zu Hause weilten. Das sind mehr als 1% der Gesamtbevölkerung. Dass die Zahlen dabei rückläufig sind, kann ich aus meinem Umfeld dabei nicht bestätigen – die Einschläge kamen in den vergangenen zwei Wochen immer näher.

Zuerst begann dies bei einem meiner Angestellten: Erst war die einjährige Tochter infiziert. Sofort folgten die ältere Schwester und danach die Mutter. Zwei Tage später dann war der Angestellte ebenfalls infiziert – und fehlte deshalb in der gesamten vergangenen Woche. Vor anderthalb Wochen erwischte es schließlich auch meine Tochter, doch das war alles weitere als verwunderlich: Gerade unter Oberschülern verbreitet sich die Krankheit rasant, da die Teenager natürlich gerade im Sommer sehr aktiv sind. Nun isolierten wir zwar unsere Tochter umgehend, doch irgendwie schaffte es mein Sohn dann trotzdem, sich ebenfalls anzustecken – vier Tage später klagte er über Fieber. Weitere 4 Tage später folgte dann meine Frau.

Doch wie gehen die Behörden damit um? Bei meiner Tochter wurde am folgenden Tag ein PCR-Test gemacht, den Befund erhielten wir am nächsten Tag. Mein Sohn bekam eine Online-Diagnose – zeigt jemand mit einem Corona-Infizierten im Haushalt Symptome, so wird man zum みなし陽性 minashi yōsei – das setzt sich aus 看做す (minasu, = vermuten, annehmen) und 陽性 (yōsei, =positiv) zusammen. Bei meiner Frau war es ebenso – kurze Online-Diagnose und fertig. Medikamente gibt es übrigens keine. Null.

Um die Lage halbwegs im Auge zu haben, hat die Regierung bereits 2020 das HER-SYS geschaffen – die Abkürzung steht für „Health Center Real-time Information-sharing System on COVID-19″ und hat als Subsystem die Variante „My HER-SYS“, die dazu benutzt werden kann, festzustellen, wie lange man zu Hause bleiben muss. Doch das ist gar nicht so einfach, denn oben erwähnte „Minashi-Yōsei“ können sich dort nicht selbst eintragen. Das System kann man nur benutzen, wenn man richtig bei einem Arzt war, aber eben das ist zur Zeit fast unmöglich, da fast alle Ärzte nur bereit sind, eine Diagnose online zu erstellen.

Mit anderen Worten – in Japan wird Corona de facto noch immer als besonders schwere Infektionskrankheit angesehen – doch wer sich infiziert hat, steht danach vollkommen allein da. Das gilt vor allem für die, die keinen Hausarzt haben. Es gibt Fälle im Bekanntenkreis, die, wie auch ich, keinen richtigen Hausarzt haben. Nachdem diese sich infiziert hatten, gab es große Mühe, einen Arzt zu finden, der sich bereit erklärt, auch nur eine Online-Diagnose zu erstellen. Fast alle Ärzte (inklusive der Hausarzt meiner Frau nebst Kindern) haben schon vor einigen Wochen bekannt gegeben, momentan keine neuen Patienten aufzunehmen.

Damit dürfte klar sein, dass das Bild über die Corona-Lage in Japan nicht vollständig sein kann. Auch die Idee, dass Corona-Infizierte sowie Personen, die im gleichen Haushalt wohnen, sich brav isolieren, ist unrealistisch – sicher, man kann so einiges online bestellen, aber viele müssen einfach raus, um dies und das zu erledigen. Und Menschen wie ich, die nun symptomlos zu Hause von Infizierten umzingelt sind, werden sich sicherlich nicht permanent testen, denn als „naher Kontakt“ darf man für Einkäufe und andere wichtige Sachen raus – als positiv Getesteter hingegen nicht mehr. Obwohl das natürlich von niemandem kontrolliert wird.

Mit anderen Worten – sicher, man hat sich auch in Japan an Corona gewöhnt. Aber es klafft ein großes Loch zwischen dem, was die Regierung in Sachen Corona denkt und dem, was wirklich getan wird. Gedacht wird viel – gemacht wird so ziemlich gar nichts.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

3 Kommentare

  1. Dann gute Besserung an euch alle. Wir hatten uns in Schottland angesteckt vor einigen Wochen und die Fälle sind drastisch gestiegen. Zum Glück hat es uns nicht schlimm erwischt, wobei ich erst 6 Tage nach meinem Mann dann endlich positiv getestet war. Da fällt mir ein, dass Ihre (deine, ich möchte nicht unhöflich sein!) Tochter Prüfungen hatte? Ich erinnere mich vage an den Beitrag, sind die Ergebnisse da für ihre Traum-Universität?

  2. Wie teuer und verfügbar sind denn Antigentests in Japan momentan? Ich hatte mich Ende der Sommerferien angesteckt und habe mich nach 5 Tagen jeden Tag selbst getestet, zum Ende hin sogar zweimal, um sicher zu gehen, dass ich zumindest keine hohe Viruslast mehr habe, wenn ich wieder arbeiten gehe (die Bürgertests sind teils so wenig gründlich bei der Probenentnahme, dass da false negatives raus kommen).

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