BlogMy Number und andere grandiose Ideen

My Number und andere grandiose Ideen

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My Number-Maskottchen 'Maina': Volksverdummung niedlich verpackt.
My Number-Maskottchen ‚Maina‘: Volksverdummung niedlich verpackt.
Sie ist schon seit langem in Planung: マイナンバー My Number, laut Regierung das beste, größte, wunderbarste, was das Inselvölkchen je gesehen hat. Der Plan: Jeder bekommt eine einzigartige Nummer (wie revolutionär!) nebst Karte und Chip, und alles, aber auch alles wird dann mit dieser Nummer verknüpft. Krankenversicherung, Rentenkasse, Arbeitslosenversicherung, alle möglichen Steuern, Kindergeld und andere Zuschüsse, Bankkonten… Ja, Bankkonten! Der Vorteil soll sein, dass Behördliches schneller erledigt werden kann. Gut. Der Mißbrauch des kaum vorhandenen Sozialsystems sowie der Rentenkasse soll ebenso vermieden werden. Klar, das ist löblich. Es gibt genügend Fälle, bei denen Familien die Rente für bereits längst verstorbene Familienmitglieder munter weiterbeziehen.
Wohin das Ganze allerdings führt, ist dabei klar. Der Staat möchte alles wissen. Viele Japaner zahlen zum Beispiel ihre Kommunalsteuer nicht oder nur viel zu spät. In Zukunft reicht dem Beamten ein Blick auf den Bildschirm, und schon kann er erfahren, wie viel derjenige wirklich verdient, was es noch so an Außenständen gibt und ob auf den Konten nicht etwas zu holen ist. Dementsprechend kann der Beamte dann auch eventuelle Zuschüsse stoppen, um so zwangsweise das Geld einzutreiben. Schöne neue Welt! Das beste daran: Das System soll schon zum 1. Januar 2016 anlaufen, und alle, aber auch wirklich alle Firmen müssen sich darauf vorbereiten, denn sie müssen ab Januar die Einkünfte der Angestellten mit dem My Number-System verknüpfen und melden.
Doch es geht noch besser. Planmässig soll zum 1. April 2016 die Mehrwertsteuer erhöht werden – von 8 auf 10%. Das war schon lange so vorgesehen, wurde aber bis zu eben jenem Stichtag verschoben. Um die Bevölkerung jedoch nicht zu sehr zu belasten, sollen zum Beispiel etliche Lebensmittel von der Erhöhung ausgenommen werden. Dazu wurden nun Pläne aus dem Finanzministerium bekannt. Demzufolge will man die Steuer nicht einfach so senken, sondern die Konsumenten sollen einen Teil zurückerstattet bekommen. Dazu sollen sie dann beim Lebensmitteleinkauf ihre My Number-Karte in ein Terminal geben. Und so – auf ein ganzes Jahr gerechnet – maximal 4’000 Yen, also rund 30 Euro, zurückerstattet bekommen. Das bedeutet natürlich:
a) einen Riesenverwaltungsaufwand
b) dass sich alle Lebensmittelhändler ein Terminal anschaffen müssen
c) Glasklare Verbraucher: Der Staat weiss dann eben auch, wo und was man einkauft.
Aso Tarō, ein ganz besonderes prächtiges Exemplar der Gattung Japanischer Politiker, meinte zu Kritikern ganz süffisant: „Was ist denn dabei? Ihr lauft doch auch alle mit Kreditkarten herum! Das ist doch nur eine weitere Karte!“. Schön, dass von Aso zu hören: Jener ist für seine Volksferne seit langem bekannt. Der Verdacht erhärtete sich, als jemand ihn im Parlament mal fragte, ob er eigentlich wisse, was Lebensmittel so kosten. Seine Schätzung lag dermassen daneben, dass es schon lächerlich war (ich habe 2009 in diesem Artikel darüber berichtet.
Die Datensammelwut der Regierung ist dabei eine Sache. Der potentielle Missbrauch eine andere. Das Vertrauen in die IT-Fähigkeiten des Landes ist durch den Diebstahl der Rentenkassendaten von Millionen Japanern in diesem Jahr nicht gerade gross. Bei My Number wird es noch extremer – haben die Daten doch das Potential, alles, aber auch wirklich alles über den Nummernträger auszusagen. Während man bei Rentenkassendaten schon etwas Phantasie und viel kriminelle Energie braucht, um die Daten zu missbrauchen, wird es bei My Number viel einfacher.
Sowohl als Privatmensch als auch als Arbeitgeber kommt mir da einfach nur das kalte Grausen. Ich weiss nicht, was japanische Politiker in letzter Zeit so zu sich nehmen. Aber was auch immer es ist – ich hoffe, sie lassen bald die Finger davon. Und ich hoffe, dass möglichst viele Japaner My Number als das sehen, was es wirklich ist: Der Versuch, die absolute Kontrolle über jeden Einzelnen zu erlangen – mit big data. Ich weiss nicht, wovor ich mehr Angst habe: Vor dem Mißbrauch durch Kriminelle oder vor dem Mißbrauch durch den Staat.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

6 Kommentare

  1. Die letzte Frage ist einfach zu beantworten:
    Staat. Denn Verbrecher sind höchstens am Geld intessiert und können gegen deutlich weniger vorgehen.
    @Vladislav:
    Auch wenn ich das Beispiel hasse:
    Auch für die niederländischen Juden vor 100 Jahren war die Datenaufnahme ihrer Religion nichts Schlimmes – bis die Nazis einfielen.
    Das etas JETZT unproblematisch ist (falls es so sein sollte) ist keine Garantie für die Zukunft.
    JEDE Datensammelei wird früher oder später irgendwie missbraucht. Deshalb muss man alle möglichen Folgen des worst case den Gewinnen gegenüberstellen.

  2. Ich habe die MyNumber-Webseite und Facebook angeschaut: Das Kindchen-Schema wird bis zum Erbrechen durchdekliniert. Sollen die lieben Kleinen und die kindischen Alten doch gleich närrisch darauf abfahren. Die anderen haben eh keine Wahl!
    Übrigens hat die dänische Staatsverwaltung mit den Banken 2015 eine ähnliche Kooperation etabliert: für das Online-Banking gilt jetzt auch die Eingabe der CPR-Nummer (Civil Personal Registration), das ist ein vierstelliger ID-Code in Verbindung mit dem Geburtsdatum.

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