BlogSenryu: Harlekin-Haikus oder: Darüber lacht der Japaner

Senryu: Harlekin-Haikus oder: Darüber lacht der Japaner

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Eigentlich bringe ich alle Voraussetzungen mit, um ein Haiku-Fan zu sein: Ich liebe Sprachen. Ich liebe Wortspiele und geschickt aneinandergereihte Worte. Ich liebe phantasievolle, kreative Sprache und Literatur. Und ich spreche und lese Japanisch. Darunter auch altjapanische Literatur. Wie gesagt, eigentlich. Denn irgendein Gen muss mir fehlen – ein Künstlergen etwa oder wenigstens ein Wichtigtuer-Gen (dass mich dann sagen liesse, ich liebe Haikus, obwohl sie mich nicht die Bohne interessieren).
Kurzum: Mit Haikus kann ich nicht viel anfangen. Ein paar japanische Haikus fand ich, nun ja, ansprechend, aber ich würde mir nie ein Buch voll mit Haikus kaufen. Und übersetzte Haikus finde ich wiederum ganz furchtbar, aber das liegt wohl in der Natur der Sache.
Andererseits mag ich Humor und ebend Wortspiele. Da kommen die Senryū ins Spiel (siehe Wort des Tages unten). Besonders beliebt in Japan: die Sarariiman-Senryu – also witzige Haikus, die das Leben der japanischen Bürohengste und anderer Schlipsträger schildert.
Um die zu verstehen, sollte man die Vorurteile über die unerträgliche Leichtigkeit des Seins japanischer Schlipsträger kennen:
Der gemeine japanische Schlipsträger ist verheiratet (oft keine Liebeshochzeit sondern Mittel zum Zweck) und hat eins, zwei Kinder. Während er fast täglich bis spät in die Nacht arbeitet (oder nach der Arbeit mit Kollegen zum trinken und zur Karaoke-Bar geht), sitzt die liebe Frau zu Hause, schmeisst den Haushalt und sorgt dafür, dass die Rangen keinen Blödsinn machen.
Das Dasein der Letzteren könnte eigentlich ganz angenehm sein, wenn der Göttergatte nicht jeden Abend nach Hause kommen würde, denn dann müssen Essen und Sake bereit stehen und dem Herrn Pascha frische Luft zugewedelt werden. Soweit, so gut. In der Prosa äussert sich das dann so (Quelle: siehe Link unten):
タバコより 体に悪い 妻のグチ tabako yori – karada ni warui – tsuma no guchi
    Etwa: Schädigender als Zigaretten etwa sind die Keifereien meiner Frau
わが家では 子供ポケモン パパノケモン wagaya de wa – kodomo pokemon – papa nokemon
    Schon schwerer zu übersetzen: Nokemon ist eine Verballhornung von „Nokemono“ – ein Ausgestossener, Ausgeschlossener. In etwa: Bei uns zu Hause – für die Kinder Pokemon – der Papa hingegen ist „Nokemon“
『ゴハンよ』と 呼ばれて行けば タマだった „Gohan yo“ to – yobarete ikeba – tama datta
    Etwa: „Essen ist fertig“ wurde gerufen, doch als ich hinging, war unsere Katze gemeint.
Und auf die Arbeit bezogen:
「早くやれ」 そう言うことは 早く言え „Hayaku yare“ – sou iu koto wa – hayaku ie
    „Mach schnell“ – wenn das so ist, dann sag’s schneller!
 「課長いる?」 返ったこたえは 「いりません!」 „Kachō iru?“ kaetta kotae wa „irimasen!“
    Wortspiel: „iru“ bedeutet „sein“, aber auch „brauchen“: Ist der Abteilungsleiter da? Als Antwort bekam ich „Sowas brauchen wir nicht!“
Nun ja. Schwer zu übersetzen ebend. Aber ein kleiner Einblick in japanischen Humor. Mehr davon gibt’s auf dieser Webseite Dai-ichi Life: Best of Senryu (japanisch, dort stehen auch die Namen der Verfasser der obigen Senryu).
Das Wort des Tages: 川柳 senryū – wörtlich „Flussweide“, aber dies ist ein Personenname: Jener Haiku-Meister spezialisierte sich während der Edo-Zeit auf Haiku, die sich ebend nicht mit der Natur beschäftigen. Ein Senryu sollte folgendes haben: Ugachi, Okashimi, Karumi – „Treffsicherheit, Komik und Leichtigkeit“. Im Gegensatz zu Haiku ist Umgangssprache und moderne Sprache erlaubt bzw. sogar erwünscht.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

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