BlogGeschichten aus der Mongolei

Geschichten aus der Mongolei

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Hauptstädte zu besuchen, die aus nur einem Wort bestehen, ist out. Hauptstädte mit zwei Wörtern sind in. Nach Kuala Lumpur vor genau einem Jahr ging es dieses Jahr also nach Ulan Baator, Hauptstadt der Mongolei. Und zugleich die kälteste Hauptstadt der Welt: Die Jahresdurchschnittstemperatur beträgt -2 Grad. Und im Winter geht es richtig zur Sache mit Temperaturen bis zu minus 40 Grad. Aber egal, das soll uns nicht von einer Stippvisite abhalten.

Direktflüge aus Japan gibt es im Winter nicht – logisch, wer ist schon so blöd, im Winterzu fliegen. Also ging es erstmal mit Air China nach Peking. Der Flug startete um 7:10 von Haneda – das dumme ist dabei, dass nichts zeitig genug nach Haneda fährt, um den Flug sicher zu erreichen. Also hiess es – wieder mal – am Abend hinzufahren um dortzu übernachten. Dieses Mal entschied ich mich dafür, direkt im Terminal zu übernachten, im „First Cabin“-Hotel. Das sind Kojen, in die gerade eben so ein Bett passt, mehr nicht. Es gibt auch keine Türen, nur eine Art Jalousie, die man aber auch nicht bis nach ganz unten ziehen kann. 5’300 Yen kostet die Nacht dort. Vom Preis her also nicht schlecht. Wenn man nicht das Pech hat, dass der Mitgefangene in der Koje gegenüber, den Waden nach zu urteilen eine sehr stramme Gestalt, so laut und unregelmäßig schnarcht, dass man Angst hat, er könne jeden Moment verrecken. Außerdem ist es viel zu warm in dem Gefängnis. Sprich – es ist eine echte Qual.

Mehr Kapsel als Zimmer: First Cabin im Flughafen Haneda
Mehr Kapsel als Zimmer: First Cabin im Flughafen Haneda

Halbwegs pünktlich fliegt das Flugzeug am nächsten Tag ab – und vier Stunden später und zum ersten Mal seit 19 Jahren bin ich wieder in Peking. Ich habe aber nur knapp anderthalb Stunden. Also rein in den Transitbereich, nochmals Sicherheitskontrolle, ewig lange zum Gate laufen und verzweifelt nach Kaffee suchen. Da, ein Starbucks! Bekannt für seine freundlichen Angestellten! Aber nicht in China. Drei Angestellte quatschen, und nur äußerst widerwillig bemüht sich eine Angestellte, sich mit mir abzugeben. Wie kann ich auch das Gespräch stören? Eine knappe Stunde später geht es weiter. Das Flugzeug ist nur halbvoll, und die meisten Passagiere scheinen Mongolen zu sein. Nach gut zwei Stunden befinden wir uns im Anflug auf eine traumhafte, aber karge Winterlandschaft. Mit famoser Weitsicht. Die endet aber kurz vor dem Flughafen, und die Ursache kann man aus dem Flugzeug heraus sehr gut erkennen: Riesige Schlote, die Unmengen an Rauch in den windstillen Winterhimmel spucken. Man erkennt sogar wunderbar die Inversionsgrenze: Hier kommt der Qualm nicht weiter und muss sich entsprechend im Tal verbreiten. Smog also.

Smogverursacher in Ulan Baator
Smogverursacher in Ulan Baator

Der Flughafen ist winzig klein, und unser Flugzeug das einzige Flugzeug dort. Hier scheint ja im Winter wirklich die Post abzugehen. Lange muss ich an der Einreise nicht warten. Ein Kärtchen hatte ich schon im Flugzeug ausgefüllt, und ein Visum brauchen die meisten nicht. Die Grenzbeamtin lächelt sogar ein wenig. Und als ich zum Gepäckband laufe, liegen alle Gepäckstücke schon fertig zum abholen da. Fantastisch. Es ist 3 Uhr Machmittags, und die Sonne strahlt.

Kaum erreiche ich die Ankunftshalle, kommen die ersten Taxifahrer angelaufen. „Taxi! Taxi!?“ Ja ja, keine schlecht Idee, aber ich möchte erstmal Luftholen… und Geld abheben. Ein Taxifahrer ist hartnäckig und läuft in anständigem Anstand hinter mir her und gibt gelegentlich Tipps in gebrochenem Englisch. „ATM – there!“ und so weiter. Immerhin funktioniert der erste Automat und ich bin stolzer Besitzer von 250’000 Tögrög – rund 100 Euro. Der größte Schein ist dabei der 20’000 Tögrög (ich muss das erst ein paar Mal schreiben, bis ich mich an den Namen gewöhnt habe)-Schein. Sofort kaufe ich mir an einem Kiosk für 1’000 Tröten ein Feuerzeug, denn das hat mir die chinesische Securitate in Peking abgenommen.

Dschingis-Khan-Flughafen
Dschingis-Khan-Flughafen

Da ich im Flugzeug nicht faul war und etwas in meinem japanischen Reiseführer über die Mongolei recherchiert hatte, wusste ich, dass es keinen offiziellen Flughafenzubringer gibt – nur einen ganz normalen Linienbus, der wohl unweit vom Flughafen durch ein Wohngebiet fährt. Vielleicht sollte ich also erstmal hören, was der Taxi-Fahrer verlangt. Was, 30’000 Tröten? Abgemacht! Und schon führt er mich zu seinem zerbeulten, aber grossen, schwarzen Nissan, an dem absolut gar nichts hindeutet, dass es sich um ein Taxi handelt. Andere Taxis sehe ich allerdings auch nicht. Die Mongolei – das Land der Stealth-Taxis! Später fühlte ich mich in meiner Beobachtung bestätig, als ich unzählige Male sah, wie frierende oder eilig aussehende Mongolen verzweifelt in die Automenge winken, um ein Taxi zu ergattern – da an den meisten Taxis aber nichts dransteht, ist das ein seltsames Lotteriespiel.

Mein Fahrer schaut zwar etwas grimmig, aber er kann ein bisschen Englisch und ist letztendlich sogar etwas gesprächig. Und schon rauschen wir los, auf einer Schnellstraße ohne jegliche Markierung und ohne Regeln. Es geht so chaotisch zu, dass ich mich ernsthaft frage, ob hier Links- oder Rechtsverkehr herrscht. Eigentlich sieht es nach Rechtsverkehr aus, aber der Fahrer sitzt rechts von mir (des Rätsels Lösung: Die meisten Autos kommen gebraucht aus Japan über Rußland in die Mongolei).

Es geht vorbei an einem riesigen Kraftwerk, und an Neubauten, die, je näher wir dem Stadtzentrum kommen, immer älter, sprich sozialistischer, aussehen. Im unmittelbaren Zentrum gesellen sich moderne Glas- und Stahlbauten hinzu. Nach einer guten halben Stunde sind wir am Ziel – am altehrwürdigen (seit 1961) Hotel Ulan Baator. Einst die erst Adresse der Stadt, wurde das Hotel natürlich längst von Kempinski & Co. eingeholt. Ich bezahle, und der Fahrer gibt mir seine Visitenkarte – falls ich wieder einen Fahrer brauche. Ist gemacht.

Hat Stil: Ulan Baator-Hotel
Hat Stil: Ulan Baator-Hotel

Das Hotel ist wunderbar 1960-sozialistisch. Herrlich. Die Angestellten am Empfang sind professionell, und 15 Minuten später stehe ich in meinem Zimmer. Sieht soweit ganz gut aus. Und der Ausblick auf die Mischung aus sowjetischer und postsowjetischer Architektur ist großartig. Also schnell die Sachen abgestellt und raus zu einem Spaziergang in der Nachbarschaft – hier gibt es vor allem Regierungsgebäude und Bürohäuser. Und die Temperaturen sind mit minus 20 Grad knackig. Um 5 Uhr wird es allerdings schon dunkel (und es wird allmählich wirklich kalt), also zurück ins Hotel, und etwas später raus zum Abendessen. In der Nähe gibt es ein ziemlich exquisit aussehendes Restaurant – mit Garderobe, auch das ist typisch russisch/sowjetisch – wo eine Platte mit gemischten mongolischen Spezialitäten, sprich Hammelfleisch mit Hammelfleisch, dazu etwas Hammelfleisch – letztendlich nicht einmal 10 Euro kostet.

Umgebung des Hotels
Umgebung des Hotels

Nach einer verdienten Nachruhe geht es gegen 9 Uhr, kurz nach Sonnenaufgang, los zu einem ausgedehnten Stadtspaziergang. Bei anfangs minus 30 Grad. Vorher will ich aber ein Reisebüro aufsuchen, das angeblich sehr gut sein soll, um auszuloten, was ich während der 5 Tage hier auch außerhalb der Hauptstadt anstellen kann. Theoretisch ist es auch ganz einfach: Ich steige in den Trolleybus der Linie 5, der immer geradeaus fährt, und steige an einer gewissen Haltestelle, deren Namen ich sogar kenne, aus. Angeblich bezahlt man beim Besteigen des Busses 500 Tröten. Also steige ich ein, und ein junger Mann vor mir am Eingang nimmt mir den Schein aus der Hand… dreht sich um und verschwindet nach hinten. Das kommt mir seltsam vor. Ich laufe hinterher, tippe ihn an und sage das russische Wort für Fahrkarte (man merke allerdings: Ausser der Schrift hat Mongolisch nichts mit dem Russischen zu tun): Billet! Er schaut mich fragend an, und ich texte ihn auf Englisch zu: „You took my money, so where is the ticket then?“ Nun scheint es ihm zu brenzlig zu werden, er greift in seine Jackentasche und gibt mir den Schein zurück. Den ich dann, wie ich inzwischen beobachten konnte, in eine Box am Eingang werfen werde. Währenddessen sind wir wahrscheinlich an meiner Haltestelle vorbeigefahren. Irgendwie kommt mir jedenfalls die Fahrt zu lang vor, so dass ich irgendwo in einem Außenbezirk aussteige und wieder zurückfahre. Dieses Mal passe ich besser auf und erwische die richtige Haltestelle.

Gandan-Tempel
Gandan-Tempel

Im Reisebüro erklärt mir ein netter Engländer meine Optionen: Sie sind stark begrenzt, denn im Winter fährt kaum was und fliegt nichts. Immerhin habe ich seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Ich entschliesse mich letztendlich für eine 2-Tages-Tour in einen Nationalpark in der Nähe von Ulan Baator, mit Übernachtung bei einer Nomadenfamilie in einer Jurte usw. Warum nicht. Hauptsache etwas raus aus der Hauptstadt.

Gandan-Tempel
Gandan-Tempel

Es geht zu Fuß weiter, zum wichtigsten Tempel nicht nur der Stadt, sonder des ganzen Landes – dem Gandan-Tempel. Und der sieht sehr tibetisch aus, nebst tibetanischen Gebetsrollen. Die Tempelanlage ist wunderschön, zumal ich sie dank der Kälte ganz für mich allein habe. Letztendlich verbringe ich dort eine gute Stunde. Als ich gehen will, kommt ein Mongole auf mich zu und spricht mich auf russisch an – er habe wunderschöne Bilder, die er selbst gemalt hat und verkauft. Alle auf Leder gemalt. Eigentlich kaufe ich nichts von fliegenden Händlern, aber seine Sachen gefallen mir ziemlich gut. 10 Minuten später bin ich um 1 Bild, zwei Bildchen (mangels Wechselgeld) und einem Set mongolischer Münzen, die ja nicht mehr im Umlauf sind (ich bin Münzsammlet, wohlgemerkt) reicher und um 40’000 Tröten ärmer, habe aber kein schlechtes Gefühl dabei.

Weiter geht’s zu Teil 2.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

9 Kommentare

  1. Der junge Mann im Bus hatte wahrscheinlich keine elektronische Busfahrkarte nur einen 1000er Schein und wartete auf den Nächsten, der mit einem 500er passend bar bezahlt – seinem Wechselgeld. So war’s bei mir neulich.

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