BlogReisen in Zeiten von Corona

Reisen in Zeiten von Corona

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Nach einem halben Jahr nahezu ununterbrochener Arbeit, und dies auch noch im Schatten von Corona, und mehreren Monaten Berufsverkehr im Auto, mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 10 km pro Stunde, war ich wirklich reif für eine kurze Auszeit. Ursprünglich waren vier Tage auf Shikoku geplant – der Flug war sehr günstig und schon im März gebucht, doch die Arbeit liess das nicht zu – ausserdem lag der Flug noch in der „bitte nicht in andere Präfekturen reisen“- Periode. Also wurde der Kurztrip verschoben auf Anfang Juli. Die Flüge waren nun wesentlich teurer, und als kostengünstige Alternative kamen „nur“ noch Hokkaido oder Okinawa in Frage. Hokkaido also (bei Okinawa hätte es einen Aufstand in der Familie gegeben :)

Reisen in Zeiten von Corona also. Der Flug war ausgebucht, aber sowohl am Flughafen Narita als auch im Flugzeug herrschte Maskenpflicht, aber die Sitze waren so eng wie eh und je. Auf Hokkaido selbst schien man überall auf das Virus eingestellt – bei einer Unterkunft wurde sogar die Temperatur gemessen, bei einer anderen Unterkunft wurden sogar Regeln aufgestellt wie „treffen Sie bei Ihrem Aufenthalt keine anderen Menschen“. Ach so. Die Richmond-Hotel-Kette geht mir mit all ihrer Sterilität und weltfremden Regeln sowieso seit einiger Zeit auf den Nerv, weshalb ich diese Hotels wohl demnächst eher meiden werde. Spricht man mit Leuten unterwegs, merkt man das vorsichtige Interesse an das „woher“, denn Touristen sind momentan eher rar. Ab und an trifft man jedoch trotzdem welche – Thais, Vietnamesen, Singapurianer, Taiwanesen zum Beispiel dürfen nach Japan reisen, und ein paar mutige machen das auch. Ich kann es ihnen nicht verübeln, denn ein Japan ohne Touristen ist nach all den Jahren mit den explodierenden Besucherzahlen durchaus reizvoll.

Verständlicherweise hört man überall die selben Klagen — dass die Besucher wegbleiben, dass der Umsatz nahe Null liegt und dergleichen. Die Bewohner von Hokkaido und anderswo dürften da ausländische wie inländische Besucher mit sehr gemischten Gefühlen betrachten: Einerseits mit Freude, andererseits mit etwas Furcht, wächst doch die Gefahr der Corona-Infektion zweifelsohne durch Reisende. Hinzu kam, dass während der kurzen Tour die Zahl der täglichen Neuinfektionen in Tokyo allein wieder auf dreistellige Zahlen anstieg, und daran hat sich an den letzten vier Tagen auch nicht viel geändert. Die befürchtete zweite Welle ist da, und gestern bat die Gouverneurin von Tokyo, die ihren Sitz übrigens bei der gestrigen Wahl behaupten konnte, zum ersten Mal seit rund zwei Wochen die Bewohner wieder, 都道府県跨ぐ移動控えて – „Fahrten über die Präfekturgrenzen hinaus zu unterlassen“.

Der Wunsch ist verständlich, aber es dürfte für immer mehr Unternehmen der Reisebranche sowie der Gastronomie enger werden. Sich irgendwie zwei, drei Monate durchwursteln geht mit Sicherheit, aber wenn sich das so schnell wiederholt, wird das viele zur Aufgabe zwingen.

Auf Hokkaido nun wurde ich nicht komisch angesehen – erst in Tokyo, als ich mit meinem Rucksack in der Yamanote-Linie fuhr. Das Fragezeichen („ist der etwa aus dem Ausland hier eingereist!?“) stand einigen Leuten ganz direkt ins Gesicht geschrieben und versetzte mich ein bisschen in die Zeit meiner ersten Reisen nach Japan, als Ausländer noch ein seltener Anblick waren.

Die kurze Tour nach Hokkaido war, wie es sein sollte – erholsam. Einfach mal mit dem Auto über einsame Landstrassen brettern, äh, ich meine zuckeln, hat etwas Entspannendes. Ein kleines Geschmäckle bleibt natürlich. Zwar habe ich weder gegen Regeln noch gegen Empfehlungen der Regierung bezüglich Corona verstossen, aber für das unbeschwerte Reisen ist es dennoch etwas zu früh in Japan. Andererseits hilft es auch niemandem wirklich weiter, wenn jeder wirklich permanent zu Hause hockt. Die Devise heisst nun mal „with Corona“, so lange man sich an die einfachen Grundregeln hält.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

1 Kommentar

  1. Hokkaido ist immer eine Reise wert! Selbst 3 mal mit dem Motorraedle (als es noch existierte) bereist. Leere Strassen, die Weite und das Essen ….. immer wieder mal. Nur in einem Punkt kann ich Dir nicht so zustimmen:
    „Die befürchtete zweite Welle ist da,…“ Ich denke noch immer, dass es die Fortsetzung des Gewesenen ist, die 2. Welle, die steht uns noch bevor. Und schade, dass es Euch nicht nach Shikoku verschlagen hat, haetten wir uns endlich mal treffen koennen. Aber wer weiss, was nicht ist, kann ja noch werden! In diesem Sinne, gehabt Euch wohl!!

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