BlogVom Niedergang der japanischen Fernsehnachrichten

Vom Niedergang der japanischen Fernsehnachrichten

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Hodo Station - mit Furutachi. Quelle: http://matome.naver.jp/odai/2142458479436089401
Hodo Station – mit Furutachi. Quelle: http://matome.naver.jp/odai/2142458479436089401
Morgens auf dem Weg zur Arbeit die Tagesschau, manchmal SPON. Während der Mittagspause BBC, manchmal auch andere, englischsprachige Nachrichtenquellen. Abends, nach der Arbeit, japanische Fernsehnachrichten. So sieht meine Nachrichtendiät seit vielen Jahren aus. Sicher nicht perfekt und viel Mainstream, aber wenigstens verschiedene Facetten.
Doch mittlerweile weiss ich nicht mehr, welche japanischen Nachrichten ich noch schauen kann. NHK, dem staatlichen Fermsehsender, traue ich schon lange nicht mehr. Dort wird zu viel einfach totgeschwiegen, und was dort an der Spitze los ist, ist einfach nur suspekt. Früher habe ich, vor allem weil die Sendezeit (23 Uhr) günstig war, News Japan, die Nachrichten auf Fuji TV, gesehen. Doch der Sender driftet immer deutlicher Richtung rechts ab, und in jüngster Zeit hat man sich gänzlich vom letzten Rest seriösen Journalismus‘ losgesagt: Jetzt unterlegt man alle Videobeiträge mit unterschwelligen Geräuschen und konzentriert sich nahezu vollständig auf Verbrechen: Je gruseliger und abstruser, um so besser. Vor allem die musikalische Untermalung bringt mich umgehend auf die Palme und wirft die Frage auf, für wie blöd die Macher den Zuschauer eigentlich halten, ihn mit solch billigen, manipulativen Tricks zu foltern. Nein, ich möchte keine Antwort auf diese Frage.
News Zero begann vor ein paar Jahren, und zu dieser bunt-flippigen, sogenannten Nachrichtensendung gibt es nicht viel zu sagen. Nur so viel: Die Reihenfolge der beiden Wörter im Namen der Sendung sollte vertauscht werden, das würde das Programm besser beschreiben.
Also verlegte ich mich auf 報道ステーション Hōdō Station auf TV Asahi: Eine recht kritische Nachrichtensendung, die zwar auch mitunter stark vom Bildungsauftrag eines Nachrichtensenders abschweifte, aber wenigstens hin und wieder kritisch hinterfragte. Die Sendung lebte von ihrem Sprecher, Ichirō Furutachi, der die Sendung 12 Jahre lang führte und, so wollen es die Gerüchte, sich letztendlich mit den Oberen überwarf, von denen wiederum aus der Politik gefordert wurde, sich mit der Kritik an der Regierung zurückzuhalten. Die war nämlich für japanische Verhältnisse recht scharf in der Sendung. Dass Furutachi die Dinge neutral betrachtete, konnte man ihm jedenfalls nicht nachsagen – es ging recht deutlich gegen Kernkraft, gegen Verfassungsänderungen, gegen die Wirtschaftspolitik… Dass zwischen Politik und dem Sender Asahi brodelte, deutete sich vor fast genau einem Jahr bereits bei diesem Vorfall an. Leider fiel der Sender jedoch auf einen Schwindel rein: So beschäftigte man ein Jahr lang den selbsternannten Business-Consultant mit dem klangvollen Namen Sean McArdle Kawakami als Kommentator, bis herauskam, dass sowohl der Name als auch der Lebenslauf purer Schwindel waren: Sean K. war ein, wenn auch eloquenter, Hochstapler wie aus dem Bilderbuch.
Heute schaute ich zum ersten Mal die neue Version von Hōdō Station mit den neuen Nachrichtenvorleser. Die Sendung begann mit ein paar Sekunden Nachrichten, dann gab es ein 10-minütiges Exklusivinterview mit dem japanischen Schwimmhelden Kitajima, der heute seinen Rücktritt bekanntgab, gefolgt von 2, 3 Minuten Inlandspolitik, gefolgt von einem Interview mit einem Ex-Baseballprofi, der heute in den japanischen Selbstverteidigungskräften arbeitet und über die Hilfe der Truppe nach der Erdbebenkatastrophe sprach. Was für eine Entwicklung! Bleibt nur noch die Sendung News 23 Cross auf TBS, wie es scheint, aber auch die ist eher mangelhaft. Man kann heute bei den japanischen Nachrichten quasi auswählen, ob man mehr über japanische Spitzensportler oder Spitzenverbrecher lernen möchte. Kritische Berichterstattung aus dem Inland ist hingegen Mangelware.
Kurzum: Mit seriösen Nachrichtensendungen sieht es in Japan immer schlechter aus. Das ist besorgniserregnend – sicher, ich kann mich nach Alternativen umschauen, aber viele machen das nicht und lassen sich so von schlecht gemachten, manipulativen Sendungen einlullen. Keine schöne Aussicht.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

5 Kommentare

  1. Das ist ja leider nicht vel besser – wharscheinlich nur 10 Jahre spaeter alles.
    Sieht man ja an den Zeitungen, die Google per Gesetz zwingen wollten (und immer noch wollen), einen Teil des Gewinnes abzutreten dafuer, dass google den Verlagen hilft…
    Die Begr[ndung ist dann der #Qualitaetsjournalismus, der meist darin besteht, Regierungspositionen nachzuplappern. Oder wie aktuell bei den #PanamaPapers Feindbilder zu bedienen: Die ersten Berichte handelten nur von Putin – oder genauer von anderen Russen die er irgendwie kennt, er selbst taucht ja in den PaPa gar nicht auf.
    Ueber aktive Politiker in D. die in den PaPa auftauchen gabs erst spaeter und ganz klein was.

  2. Ja, unser geliebtes Japan mit seinem ach so geliebten grossen Fuehrer. Es wird bestimmt nicht besser und ich habe mir seit laengerem abgewoehnt japanische Nachrichten (zumindest bewusst) zu sehen. Da ziehe ich die ARD noch vor, wenigstens erfaehrt man auch etwas ueber die Welt und das Geschehen dort. Japanische Sender werden bedauerlicherweise immer mehr gelichgeschaltet. Entweder du folgst den Richtlinien der Regierung oder aber du wirst abgeschossen.

  3. Ich vermeide hier auch die japanischen Nachrichten, auch wenn das bei den endlosen Wiederholungen der „Top-Nachrichten“ gar nicht mal so einfach ist.
    Das Problem dabei ist allerdings auch, dass es heutzutage immer schwieriger wird sachliche Berichte, bzw. Fakten zu finden, die unter all den reißerischen Schlagzeilen begraben werden.
    Es mag zwar manchmal interessant sein zu sehen, wie unterschiedlich darüber in japanischer, deutscher und englischer Presse berichtet wird, aber im Großen und Ganzen ist Nachrichten sehen einfach anstrengend geworden.

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