BlogDer Alltag, gesteuert von Müll / Aggressive Zeitungsdrücker

Der Alltag, gesteuert von Müll / Aggressive Zeitungsdrücker

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Müllfahrplan
Müllfahrplan
Der Umzug ist endlich vollbracht — der zweite innerhalb von zwei Monaten (zuerst die Firma, dann die Familie) — und so viel ist klar: Ich habe genug von Umzügen. Definitiv. Der gestrige Umzug lief mehr oder weniger glatt von der Bühne und war nach immerhin 9 Stunden zu Ende. Nun gut, es regnete in Strömen, und die Umzugswagen steckten eine Weile im Stau fest, aber letztendlich ist alles da, wo es sein soll, und es ist soweit auch alles heil. Der Mensch, der verantwortlich dafür war, die Sachen aus dem Auto zu liften, hatte einen schlechten Fuß und war schon ziemlich alt. Von den anderen 3 Arbeitern waren zwei reichlich schwach auf der Brust, so dass letztendlich ein Einziger das meiste alleine machte. Wäre ich er, würde ich wahrscheinlich am Ende des Tages den anderen dreien kräftig in die … aber lassen wir das. Ich arbeite gottseidank in einer anderen Branche. Ein paar Halogenlampen überlebten den Umzug nicht, aber ansonsten…
Heute musste ich mich also erstmal erkundigen, wie das denn so mit dem Müll so läuft. In Urayasu, meinem bisherigen Wohnort, durfte man nur ganz bestimmte Mülltüten für brennbaren (rot) und nicht brennbaren Müll (blau) benutzen: Diese waren ziemlich teuer und man konnte sie nur in Urayasu kaufen. Mit dem Preis entrichtete man quasi eine Müllgebühr an die Stadt. Brennbaren Müll konnte man Dienstags, Donnerstags und Sonnabend rausstellen zum abholen. Pappe und Papier Sonnabends. Dosen, Flaschen und anderen kleinen, nicht brennbaren Müll am Mittwoch. Größeren Müll nur nach Vereinbarung und nachdem man „Müllmarken“ von der Stadt gekauft hat. Beispiel: Um einen kleinen Klappstuhl wegzuwerfen, bezahlt man 400 Yen (3 Euro momentan). Und so weiter.
Offensichtlich müssen wir hier in Kawasaki ein paar Angewohnheiten umstellen, und das ist erfahrungsgemäß gar nicht so einfach. Hier brauchen wir interessanterweise keine besonderen Mülltüten — alles geht, so lange die Tüte zumindest halbdurchsichtig ist. Hier fliegt also normaler Müll nur zwei Mal pro Woche raus: Montags und Donnerstags. Flaschen, Dosen und, sie mal einer an, Batterien, werden Dienstags abgeholt. In meinem vorherigen Wohnort durfte man Batterien nur im Rathaus entsorgen. Dort, wo ich arbeite, werden wir angehalten, Batterien zusammen mit all dem anderen Müll wegzuwerfen. Freitag hier: Recyclebare Plastikverpackungen. Das ist ebenfalls anders als im vorherigen Wohnort: Dort konnte man diesen Müll nur bei einer handvoll hier und da aufgestellter Container wegwerfen. Das einzige, was sich nicht ändert, ist der Samstag: „Mixed Paper“.
Schauen wir mal auf das Kleingedruckte: „Bitte den Müll bis 8 Uhr morgens am Einsammeltag nach draussen stellen“. Und danach: „Bitte nicht Müll nach dem Einsammeln rausstellen – und nicht nachts rausstellen“. Das finde ich jedes Mal toll: Der Alltag soll also vom Müll bestimmt werden. Konkretes Beispiel: Meine Arbeit beginnt um 10 Uhr morgens. Das ist gar nicht so selten — in Japan beginnt man in der Regel später zu arbeiten als in Deutschland. Dafür bleibt man entsprechend bis früher oder später am Abend am Arbeitsplatz. Da ich um 10 beginne und alles in allem eine knappe Stunde bis zum Arbeitsplatz brauche (das ist sogar relativ kurz), stehe ich kurz nach 8 Uhr auf. Wann also soll ich meinen Müll nach draussen bringen? Auf dem Weg zur Arbeit? Zu spät. In der Nacht, wenn ich nach Hause komme? Verboten. Oder soll ich morgens um 7 Uhr aufstehen, den Müll rausbringen und weiterschlafen? Ich weiss es nicht. An meinem vorherigen Wohnort war es okay: Der Müllwagen kam letztendlich gegen 9 Uhr vorbei, so dass ich morgens den Müll rausstellen konnte. Wie es hier ist, weiss ich nicht.
Es dauerte gestern keine halbe Stunde, nachdem wir eingezogen waren, als ein Mann bei uns vorbeikam: Er gehörte zur Drückerkolonne der „Yomiuri Shimbun“ – eine der größten Tageszeitungen Japans. Ich war gerade beschäftigt – welch Wunder mitten im Umzug – also sprach meine Frau mit ihm. Sein „Spiel“ (hier als englisches Wort gemeint!): „Mein Vorgesetzter ist neulich auch in diese Anlage gezogen. Um eine gute Nachbarschaft zu gewährleisten, bitte ich sie, ein kostenloses 3-Monats-Abo zu akzeptieren.“ Meine Frau dankte herzlich und sagte, für so etwas haben wir gerade keine Zeit, und der Mann reagierte recht erbost und wanderte sofort ab.
Das klingt unspektakulär, aber diese Art und Weise, ein Zeitungsabo zu verkaufen, ist mehr als dreist. Letztendlich ist es eher eine Drohung: „Wenn Ihr das Abo nicht akzeptiert, macht Euch der Nachbar die Hölle heiß“. Dem sehe ich gelassen entgegen. Von den 11 Häusern hier wurden soweit nur 3 verkauft, da die Häuser gerade erst fertiggestellt wurden. Und ob die anderen beiden Besitzer wirklich für Yomiuri arbeiten, wage ich zu bezweifeln. Wir werden es schnell herausfinden. Ausserdem gehört die Yomiuri arbeitstechnisch zu unseren Kunden, und ich habe entsprechend eine guten Draht nach oben.
Nun ist die Yomiuri eine akzeptable Zeitung. Es gibt bessere, es gibt auch viele Schlechtere. Aber deren Drückerkolonnen haben einen ziemlich schlechten Ruf – bei denen wird nicht selten mit Drohungen gearbeitet. Das geht zumindest in unserem Fall definitiv nach hinten los. Und ich hoffe, der Mann kommt wieder und ich bin dann zu Hause. Dann wird es ein interessantes Gespräch unter vier Augen geben.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

14 Kommentare

  1. Kontrolliert das irgendwer oder sind Nachbarn erfahrungsgemäß auch in Japan Blockwarte? Sonst würd ich mal sagen stell’s einfach Nachts raus.^^

    • Ja, das hängt arg von den Nachbarn ab. Auch in Japan gibt es genügend Blockwarte. Von den anderen 10 Familien, die hier früher oder später wohnen werden, erwarte ich da keine Probleme. Aber der ehemalige Besitzer des gesamten Grundstückes wohnt ebenfalls hier, und er spielt, wie es scheint, eine grosse Rolle im hiesigen Nachbarschaftsverband (自治体). Mal sehen, wie er so drauf ist…

  2. mhh kommt mir vor wie Mafia methoden das mit der zeitung (einschüchterungen inklusive)
    bissel arg mies sowas, gibts da vom Gesetztgeber her nix dagegen wegen nötigung etc. ?
    und pet flaschen? gibts in Japan kein pet Pfandsystem oder überhaupt ein Pfandsystem? oder sowas wie Gelbersack?

    • Pfandflaschen? Ich bitte Dich! Nicht doch in Japan :) Gelber Sack? Nope. Brennbar oder nicht brennbar, das ist das Hauptprinzip.
      Die Drückerkolonnen bewegen sich hart am Limit, würde ich mal sagen. Das reicht nicht, um Anzeige zu erstatten, aber es ist schon starker Tobak.

      • Es gibt Brennbar, nicht brennbar z.b. Metalle, Zeitung, Karton die Sachen werden wieder verwertet. Dann gibts da noch Pura! Guck mal auf die PET oder auch andere Sachen die aus Plaste sind da ist ein Zeichen vier Eck in der Mitte steht プラ (Pura) Plastik in Kanagawa haste einen Tag in der Woche wo diese Sachen mit dem Zeichen den Entsorgern zugeführt werden. Aber bitte die PET getrennt vom restlichen Pura ;-) die Sachen werden dann wiederverwertet. Das System ist sicher nicht perfekt aber es gibt zumindest eines. Und wer glaubt das die Müllbox in der Straße der letzt Check vorm Ofen ist liegt da ganz falsch die Sachen bis auf den Hausmüll (brennbar) werden noch mal sortiert, da viel Japaner wirklich nur nach den Zwei Punkten trenn wie Tabibito geschrieben hat.

        • Wobei Mehrweg nicht unbedignt besser sein muss. Insbesondere die deutschen Glasflaschen werden ja im Grunde mit viel Benzin quer durch das Land gefahren. Da kann es energetisch besser sein, die PET-Flaschen einfach zu zerquetschen und dann mehr davon transportieren zu können. Außerdem wird das ja nachher sowieso wieder zu Kleidung.
          Habe ich zumindest mal gelesen, weiß nicht was jetzt besser ist.

  3. Noch am Umzugstag es sich mit der Nachbarschaft verscherzen, rekordverdächtig! Nächstes Mal einfach nach dem “Vorgesetzten” fragen da dieser Dir bekannt sein müsste. Danach werden sich die Drückerkolonnen kaum mehr zeigen. Ich hatte das Problem über die Gegensprechanlage oder direkt gelöst: “Nein vielen Dank – Türklapp”. Vereinzelt probierten sie’s noch, gaben dann aber endgültig auf. Inzwischen steckt ab und zu ganz scheu eine Leseprobe in der Briefklappe der Tür.
    Der Müll geht bei mir spät nachts raus, komme was wolle. “Dank” der vielen Raben wurden spezielle Netzgitter aufgestellt, die verhindern dass Tiere an die Müllsäcke gelangen und diese aufreissen. Daher ist es für mich ein und dasselbe ob der Müll um 1 Uhr oder erst um 6 Uhr rausgeht.

    • Kriegen die Telefonfirmen/Zeitungsfirmen/usw eigentlich Tipps von der Stadtverwaltung, wer gerade neu hinzugezogen ist? Als ich hier neu eingezogen bin, war auch einige Tage später direkt ein NTT-Typ vor der Haustür, NHK kam auch sofort an usw…

  4. Kanagawa ist im Umgang mit Müll nicht so streng. Wenn du großes oder aber auch viel zu entsorgen hast bittet es sich an das Zeug direkt zum „Müllhof“ zu bringen dort wird nach Kg berechnet ist also super billig hab so den komplten Hausrat von den Großeltern (2 LKW Ladungen) entsorgt. Hab bald das Vergnügen in Tokyo entsorgen zu dürfen das heißt auch für mich Tütchen kaufen und ganz dolle aufpassen was man wo rein tut! Den Zeitungsdrücker kannst ja mal von seinen Cheff Grüße ausrichten lasen. Ich denke nicht das Zeitung diese Masche so unterstützt!

  5. Ich hasse das Müllsystem hier in Japan.
    Bei meinem alten Wohnort war das superstreng, jetzt hier in Kansai sieht man das ganze zum Glück lockerer.
    Hier kann ich den Müll auch nachts rausbringen und die Mülltrennung ist auch nicht ganz so streng.
    Ich muss erst nachmittags zur Arbeit und komme erst spät am Abend nach Hause. Natürlich kann ich den Müll da nicht vor 8 Uhr rausbringen!

  6. In unserem Haus gibt es nur vier Wohneinheiten, die nerven mich zum Glück nicht wegen dem Müll, wenn es zu viel wird stelle ich ihn nämlich durchaus auch mal an komplett anderen Tagen in unser Tonnending.
    Dank einer Gegensprechanlage mit Video lassen sich die ganzen Yomiuri und NHK-Leute sehr gut abwimmeln, bei der alten Wohnung kam zwar manchmal jemand vorbei, sah mich dann aber und verzichtete darauf, mir ein Abo zu verkaufen – was auch ein wenig gemein ist, aber letztendlich habe ich dadurch weniger Stress.

  7. Sehe das Problem mit den Drückern nicht. Einfach nur ein herzhaftes „Nein!“ und Tür zu. Wer dann noch an meiner Haustür patzig oder drohend wird, kriegt direkt erstmal eine gelangt. Fertig.

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