BlogNaraigoto - oder: Lernen, lernen, nochmals lernen

Naraigoto – oder: Lernen, lernen, nochmals lernen

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Private Schwimmschule bei Tokyo
Private Schwimmschule bei Tokyo
In Japan wird seit jeher das „lebenslange Lernen“ propagiert und wahrscheinlich nur in wenigen Ländern so stark kultiviert. Es wird gelernt, was das Zeug hält – von der Wiege bis zur Bahre. Und das fängt früh an: Nicht wenige Eltern schleifen ihre Kinder im zarten Alter zum Ballettunterricht oder Fußballtraining. Das nennt sich 習い事 Naraigoto = das Lernen. Besonders beliebt (so scheint es jedenfalls, wenn ich mich im Freundeskreis umschaue) sind Ballett, Klavier, Schwimmen, Soroban (ein japanischer Rechenschieber), später dann Kalligraphie, Fußball, Kampfsportarten (sehr oft: Karate, Jūdō deutlich weniger), Tanzen und so weiter. Prinzipiell ist das keine schlechte Angelegenheit, so lange man die Kinder nicht überfordert. Und das ganze ist durchaus gut organisiert. Meine Tochter, 7 Jahre alt, geht seit über zwei Jahren zum Tanzen, und ein Mal im Jahr findet eine Tanzshow in der Stadthalle statt: Dort tanzen all die verschiedenen Altersgruppen, vom Kindergarten bis zur Oberstufe, vor mehreren hundert Besuchern. Natürlich sind fast alle Besucher auf irgendeine Art und Weise mit den Tanzenden wenn nicht verwandt so doch befreundet. So lernen die lieben Kleinen nicht nur Tanzen, sondern auch Lampenfieber, Gruppenarbeit (es wird in Gruppen getanzt, aber kurze Soli gibt es auch) und vieles mehr kennen.
Tanzen ist dabei sogar recht günstig, das kostet für eine Stunde pro Woche nur 50 Euro im Monat. Beim Schwimmen wird es schon teurer – für den Schwimmkurs bezahlen wir rund 80 Euro im Monat, aber das sind dann auch zwei Stunden pro Woche, inklusive Busfahrt. Hinzu kommen dann noch diverse Nebenkosten, die meistens plötzlich anfallen: Hier mal 80 Euro für das Outfit zur Tanzveranstaltung. Da mal 20 Euro „Benutzungsgebühr für die Umkleideräume“ und so weiter. Das ist alles gut und schön, aber mal ehrlich: Kinderreich und mittellos möchte ich in. Japan nicht sein. Obwohl wir sicherlich mittellos werden, denn diese kosten sind erst der Anfang – ab der. Mittelstufe wird es richtig teuer…
Nun müssen wir uns noch etwas für unseren bald 3-jährigen überlegen, denn der sprudelt nur so über vor Energie, und die sollte man besser früher als später, zumindest ein bisschen, bündeln. Schwimmen lernen ist sicherlich ein Muß, denn der Schwimmunterricht an Schulen reicht dazu nicht aus. Aber was dann? Klavier? Ähem. Stelle ich mir lustig vor. Vielleicht doch lieber Karate? Mal schauen. So lange es den Kindern Spaß macht. In der DDR hiessen diese außerschulischen Sachen „Zirkel“ oder „AG“, und die waren kostenlos. Und wenn ich mich recht erinnere, haben sie meistens viel Spaß gemacht.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

5 Kommentare

  1. > Schwimmen lernen ist sicherlich ein Muß, denn der Schwimmunterricht an Schulen reicht dazu nicht aus.
    Was lernen die Schüler dann? Ich will nicht sagen, dass ich der beste Schwimmer bin, aber bei den meisten die ich kenne hat der deutsche Schwimmunterricht gereicht um zumindest das Seepferdchen zu machen. Ist der Schwimmunterricht in Japan so anders oder gehen hier die Definitionen auseinander?
    Übrigens fällt mir gerade auf, dass es die Zeile für die Benachrichtigung bei Folgekommentaren hier zweimal gibt, einmal in Englisch und einmal in Deutsch. Bedeuten die beiden was unterschiedliches oder ist das ein Fehler?^^

  2. Ich habe schwimmen auch in der Schule gelernt aber relativ spät, in der 3. Klasse hat damals erst der Schwimmunterricht angefangen. Möchte mein Kleines später dann auch zum Schwimmkurs anmelden und etwas finden woran das Kind Freude hat und gerne macht. Ich hatte da als Kind leider nicht so die Möglichkeiten auch aus finanzieller Hinsicht damals. Sowas war / ist auch in Deutschland immer recht teuer.

  3. Schwimmen gelernt habe ich auch während der Grundschulzeit – allerdings privat. Im Gymnasium hatte ich dann den Luxus eines (wenn auch ekligen) Schwimmbads neben unserer Sporthalle, so dass wir dort alle zwei Wochen Schwimmunterricht hatten. Das war allerdings eher sportliches Schwimmen, und es wurde vorausgesetzt, dass wir schon (woher auch immer) schwimmen können…
    Zum eigentlichen Inhalt des Artikels: Ich weiss zwar, dass es hier diese Maxime vom „lebenslangen Lernen“ gibt, aber in der Realität sehe ich sie irgendwie nicht umgesetzt. Eher ein „lebenslanges Tun was einem gesagt wird“… Genau wie du es beschreibst, bleibt beim Aufwachsen dank all der schulischen und ausserschulischen Aktivitäten ja kaum Zeit, eigene Interessen zu entwickeln und selbst zu „forschen“ (i.e. lesen, basteln, experimentieren, …). Damit bleiben meines Erachtens sehr wichtige Fähigkeiten wie Eigeninitiative, Organisationstalent, Innovationsgeist, und (am schlimmsten) Selbständigkeit mehr oder weniger auf der Strecke. Wenn ich mir teilweise anschaue, wie bei mir am Institut (Graduate School, also alles Leute, die schon mindestens einen Bachelor in der Tasche haben, die Doktoranden sogar einen Master!) „gelernt“ und „geforscht“ wird, dann wird mir schlecht. Und was man so hört, bleibt wohl auch in der Arbeitswelt selten Zeit für Fortbildung oder eigene kleine Projekte neben der Hauptarbeit. Befördert wird nach Länge der Firmenzugehörigkeit und geschult nur nach turnusmäßig erzwungenem Wechsel in eine neue Abteilung…

  4. Ich glaube bei meinen Reisen und in der Interaktion mit Japanern in Deutschland zumindest bemerkt zu haben, daß es angesichts der o.a. Maxime einen schier unglaublichen Wust an Lehrbüchern auch für Erwachsene gibt (weil auch Markt/Bedarf vorhanden?).
    Nur mal als Beispiel: was man so an Lehrbüchern zu IT-Themen findet stellt jedes hiesige Erzeugnis mE in den Schatten. Mit den Dingern kann wirklich jeder Vollidiot einen Kernel kompilieren (O-Ton eines japanischen Freundes). Die schrittweise Erarbeitung von Ergebnissen nach dem Motto „so wirds gemacht“ hat durchaus seinen Reiz.

  5. Im Kindergarten bekomme ich das ja immer mit, wenn jemand ein neues Naraigoto anfängt und bei den Kleinen sind, wie du schon aufgezählt hast, Schwimmen, Klavier und Tanzen (Ballett!) unglaublich beliebt. Solang es nicht in Überforderung ausartet, wie bei den kleinen Jungs, die wir im Nachmittagsprogramm haben und die jeden Tag eine andere Aktivität haben, finde ich das lebenslange Lernen in Japan sehr schön. Allein schon wenn man ins Café geht, die ganzen Lernenden… :) In Deutschland hatte ich manchmal das Gefühl, dass es sich nach der Oberschule oder dem Studium ausgelernt hat.

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