BlogMekka für Omas - Sugamo

Mekka für Omas – Sugamo

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Harajuku ist über Japan hinaus bekannt als hippes Viertel, in dem sich die Jugendlichen treffen und zeigen, was in den nächsten Jahren in Japan bzw. teilweise sogar weltweit in sein wird. Man sieht viele extravagant gekleidete Leute, unzählige Boutiquen usw. Wie stellt man sich da also ein Stadtviertel vor, das „Harajuku für Omas“ (おばあちゃんの原宿) genannt wird?

Sugamo - Mekka für Omas
Sugamo – Mekka für Omas

Ganz einfach: Eine lange Einkaufsstrasse voll mit Läden mit allem, was 70+jährige so begehren. Von Stützstrümpfen über getrockneten Schlangen (Medizin), traditionellen Lebensmitteln und Hüten jeglicher Art. Dazu tausende und abertausende alte Leute, nicht minder laut als die meistens 50 Jahre auseinanderliegenden Leute in Harajuku. Viele auch hier mit gefärbten Haaren, wobei in Sugamo ganz eindeutig lila dominiert.
Sugamo (巣鴨) liegt an der Nordspitze der Yamanote-Ringlinie im Bunkyo-Distrikt und war nach dem Krieg das Mekka der Funker – Amateurfunker fanden hier alles, was sie brauchten. Es gibt einen Tempel in Sugamo, der den sogenannten とげぬき地蔵 (Togenuki-Jizō, wörtlich „Dorn-ziehen-Buddha“) beherbergt – eine kleine Buddhastatue, der Heilkräfte nachgesagt werden: Wenn man die Statue mit Wasser übergiesst und hernach mit einem Tuch wäscht, soll Linderung nah sein.
Nun, mir wurde gesagt, man soll die Stelle reiben, an der’s weh tut. Natürlich ist der Tempel bei alten Leuten sehr beliebt, und so stehen viele an, um die kleine Statue zu waschen. Mir fiel aber sofort auf, dass die meisten nicht eine Stelle waschen, sondern fast die ganze Statue. Ich wies meine Frau darauf hin, und sie quittierte das trocken mit „denen tut bestimmt alles weh“. Nun ja. Ich könnte mir aber auch vorstellen, dass Prostatakranke ganz bestimmt Hemmungen hätten, vor all den Omas nur an der einen Stelle herumzurubbeln.

Sugamo - der wundervolle, heilende Buddha
Der ganzen Welt sauberste Statue: Der Buddha von Sugamo

Jener Tempel dürfte zur Erklärung beitragen, warum Sugamo so beliebt ist. Ach ja – Sugamo beherbergt übrigens auch den einzigen McDonalds, in dem es „Silver Seats“ gibt, also Sitzplätze, die speziell Senioren vorbehalten sind. Da sage noch einer, Japans Senioren seien nicht auf Draht.
Sugamo ist im übrigen für zwei weitere Spezialitäten bekannt: Shiodaifuku – eine mit Salz bestreute Süssigkeit (Bohnenmus in Klebreis) und – 赤パン – „aka pan“ – ich übersetze mal ganz ungeniert mit „rote Buchsen“.

Sugamo - Dauerrenner rote Unterhosen
Sugamo – Dauerrenner rote Unterhosen

Roten Unterhosen werden wohl nachgesagt, dem Träger Kraft und Gesundheit zu schenken. Deshalb sind sie in Sugamo Dauerverkaufsrenner.
Zu guter letzt noch einer aus der Rubrik „Du weisst, dass Du zu lange in Japan gelebt hast, wenn…“
„… du es zu deinem 65. Geburtstag mal ordentlich krachen lässt und in Sugamo bummeln gehst“.
Heute gesehen – eine ältere Ausländerin, die ganz aufgeregt in den Sachen gestöbert hat.
Das Wort des Tages: 高齢化 kōreika – hoch-Alter-Hang zu. Die Vergreisung (der Gesellschaft). Wird dafür sorgen, dass Sugamo nicht so schnell aus der Mode kommt.

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tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

6 Kommentare

  1. ist generell öfter zu beobachten, dass irgendwelche statuen berührt werden. seien es irgendwelche religiösen statuen wie in diesem falle buddha, oder irgendwelche andere. in bremen beispielsweise wird die statue der bremer stadtmusikanten gerieben. glaube das soll glück bringen, bin mir aber nicht sicher.

    mir wärs aber glaub auch peinlich, den buddha an gewissen stellen abzuschrubbern ^^

  2. Unser Kleiner ist mit den Holzschopflöffeln voll Wasser, welche zum benetzen der Statue davor liegen, stiften gegangen als seine Oma gerade an der Figur gerieben hat. Das hat den Rubbelbetrieb bestimmt 10 min aufgehalten, da er auch nicht gewillt war, seinen schönen Holzlöffel auch wieder zurückzugeben. Naja, die Omas haben es locker genommen.

  3. …aber sehr schöner Bericht. Ich liebe diese skurielen Orte. Schade nur dass man sowas als Tourist übersieht. Ich wäre mit meinem Rad da wohl einfach nur durchgefahren und hätte noch nicht einmal gemerkt, dass dort so viele alte Damen herumlaufen, geschweige denn, dass diese Passage speziell für ältere Leute gedacht ist, und schon garnicht die rote Unterwäsche und seine Bewandniss.
    Lohnt sich hier der Kauf vom Lonely Planet Tokyo bzw. LP Kyoto?

  4. @Denny
    Kann ich mir gut vorstellen. Unsere Kleine hat da gottseidank geschlafen ;-)

    @Jakub
    Yep. Ich weiss was Du meinst.

    @Juergen
    Ich finde die LP generell recht brauchbar, aber den von Tokyo hatte ich noch nicht in der Hand. Wuerde mich aber nicht wundern, wenn Sugamo drin steht.
    Mein Gott, ich habe bestimmt 15 verschiedene LP hier und da herumstehen. Vieles darin ist unvollständig oder manchmal falsch, aber einen perfekten Reiseführer kann es nun mal nicht geben.

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