BlogEin Volk der Kleinhändler

Ein Volk der Kleinhändler

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Manchmal wähnt man sich fast wie unter den Ferengi: Der Klein- und Kleinsthandel in Japan nimmt immer groteskere Züge an, und die Frage nach den Gründen für das Verkaufsfieber ist durchaus interessant. Die Popularität äußerte sich erst heute wieder bei der An- und Verkaufsplattform Mercari メルカリ. Diese startete heute Punkt Mitternacht einen neuen Dienst, genannt „Mercari Now„. Das Prinzip ist sehr einfach und sicherlich verlockend: Wenn man etwas zu verkaufen hat, macht man ein Foto von dem Artikel, lädt es hoch und bekommt prompt einen Preisvorschlag zurück. Ist man damit einverstanden, wird das Geld umgehend überwiesen – die verkauften Sachen schickt man dann hinterher zu Mercari. Nach 17 Minuten, also um Punkt 00:17, war jedoch erstmal Schluß: Aufgrund zu hoher Serverbelastung wurde der Dienst erstmal wieder vom Netz genommen (und 15 Stunden später reaktiviert – Hut ab vor den IT-Leuten!)
Der Zuspruch muss also höher gewesen sein als erwartet, was ein wenig überrascht, denn im Juni startete ein ähnlich gearteter Dienstleister mit dem Namen „CASH“, finanziert von einem Bankenverband. Am ersten Tag vermeldete der Dienst einen Umsatz von rund 3 Millionen Euro – zu viel für den Betreiber. Man nahm am folgenden Tag den Dienst vom Netz und verkaufte ihn an den „wir-kaufen-alles-mit-Internet“-Giganten DMM.com, der den Service dann im August wieder startete.
Doch nicht nur bei Mercari und Cash geht es hoch her – auch bei Amazon, Rakuten, Atte, Yahoo! Auction und vielen anderen Dienstleistern wird gehandelt bis zum Umfallen. Auch Offline sind Dienstleister wie Book Off! und dergleichen gut dabei und hoch beliebt, wenn auch nicht immer unbedingt profitabel.

Mercari Now-Screen
Mercari Now-Screen

Wie kommt’s, möchte man da fragen. Schließlich erreicht dieser private Kleinsthandel Dimensionen, die man anderswo so nie erreichen wird. Sind immer mehr Haushalte knapp bei Kasse? Haben zu viele Hausfrauen, und von denen gibt es in Japan ja reichlich, schlicht zu viel Zeit? Oder ist es einfach nur die Tatsache, dass das Land so lange in Luxusgüter schwelgte, dass es davon einfach sehr viel gibt? Wahrscheinlich ist es eine Mischung. Gerade, was Luxusgüter anbelangt. Japan dürfte den höchsten Anteil Louis Vuitton-handtaschenschwingender Frauen haben. Von anderen Marken ganz zu schweigen. Markennamen gelten noch etwas, und man gibt gern viel Geld dafür aus, ob man es hat oder nicht (oder man lässt ausgeben). Doch irgendwann braucht man das eine oder andere Stück nicht mehr, und eine bequeme Methode wie Mercari Now kommt da genau richtig. Verständlicherweise ist die Seite deshalb auch auf Mode begrenzt: Man wählt die Art des Kleidungsstücks, den Markennamen (ganz wichtig!), den Zustand und einiges mehr – und basierend darauf bezahlt Mercari Geld. Genau wie bei einem gebrauchten Auto.
Doch auch in Japan muss man vorsichtig sein – Betrug ist allgegenwärtig. Ein Beispiel: Als wir neulich im Auftrag der Familie für jemanden einen Stillkittel als Geschenk bei Amazon bestellten, erhielten wir eine ominöse Plastiktüte mit einem selbstgedruckten Schreiben drin, in dem die Marke „Bebe au Lait“ gepriesen wurde. Ganz offensichtlich war das aber kein Original, darauf deutete auch schon die Verarbeitung hin (nicht, dass dieses Exemplar wesentlich günstiger war, wohlgemerkt). Eine Beschwerde beim Anbieter wurde zwar akzeptiert und das Produkt zurückgenommen, doch der Verkäufer bestand darauf, dass es ein Original eben jener Marke sei.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

1 Kommentar

  1. Bei Klamotten hab ich das Problem, dass es keine Altkleidercontainer gibt.
    (Und Mülltüten kosten Geld…)
    Wenn man an 2nd Hand Läden verkauft, bekommt man (natürlich) sehr sehr wenig.
    Yahoo auction ist mir zu kompliziert, da gehen so viele Mails hin und her und blahblah,
    Ebay in D. war um einiges einfacher für mich.
    Es gibt noch den „Marktplatz“ jmty.jp, bei dem die Suche nicht so toll ist, aber wenn man nach etwas Bestimmten sucht ist es nicht schlecht. Da gibt es auch viel Kostenloses, viel Schrott aber manchmal halt doch etwas dabei, was man gerade braucht.
    Ironiemodus an: Kann ja gar nicht sein, dass Japaner besch… ßen, das würden die doch nie und nimmer machen….

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