BlogMETI's Patriotenporno

METI's Patriotenporno

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Da bin ich doch neulich über ein zweisprachiges Pamphlet mit dem klangvollen Namen „Wonder NIPPON!“ gestolpert, das da bereits vor einem Jahr vom japanischen Wirtschaftsministerium (METI) herausgebracht wurde. Der japanische Titel ist viel besser: 世界が驚く ニッポン! – „Worüber die Welt staunt: Nippon!“.  Auf der folgenden Seite wird man umgehend mit der Schlagzeile „Did you realize that Japan is getting this much attention?“ – „Wussten Sie, dass Japan in der Welt so viel Aufmerksamkeit bekommt?“ konfrontiert. Was folgt, sind ein paar schöne Fotos, und ein paar Seiten weiter lustlos zusammengewürfelte Grafiken, anhand derer der staunende Leser erklärt bekommt, warum Japan so dermassen einzigartig ist, dass es ganz viel Aufmerksamkeit, gewiss zumindest mehr Aufmerksamkeit als andere Länder, verdient. Das ganze geschieht im Rahmen der Vorbereitungen für die Olympischen Spiele in Tokyo 2020.

Wundervolles Japan. Und die Menschen erst!
Wundervolles Japan. Und die Menschen erst!

Da erfährt man unter anderem, das  Japaner (und zwar alle!) die Natur ganz anders wahrnehmen, quasi mit anderen Sinnen fühlen – vorgeführt an „fünf japanischen Schlüsselwörtern, die die Welt beeindrucken könnten“ („Five Japanese keywords that may impress the world“). Man erfährt auch, dass Japaner Farben anders wahrnehmen. Und da darf auch mein Lieblingsthema nicht fehlen: Ganze vier Seiten der 64-seitigen Broschüre sind den 4 Jahreszeiten gewidmet, von denen viele Japaner immer noch glauben, dass diese etwas ganz Besonderes sind. Man glaubt es kaum: Diese vier Jahreszeiten sind: Frühling, Sommer, Herbst und Winter!
Was seltsamerweise fehlt, ist das in letzter Zeit so gerühmte „omotenashi“ – die japanische Gastfreundschaft. In einem interessanten Bogen schlägt diese Kolumne in der Japan Times  dabei einen Bogen zu einem wichtigen Aspekt von omotenashi – dem Begriff 忖度 sontaku. Die direkte Übersetzung ist nicht ganz einfach, aber es bedeutet im Prinzip, jemanden einen Wunsch abzulesen/zu erfüllen, bevor selbiger überhaupt geäußert wurde. Damit wurde jüngst im Skandal um die Verwicklung des Ministerpräsidenten Abe nebst Gemahlin bei der Vergabe eines Grundstückes weit unter Wert an den ultrarechten Schulbetreiber Moritomo Gakuen (siehe hier) auch erklärt, wieso das Finanzministerium den Deal um das Grundstück  überhaupt absegnen konnte: Der Moritomo-Chef nahm an, dass es sich um „sontaku“ handelte – die Verantwortlichen im Finanzministerium gingen davon aus, Abe einen Gefallen zu tun, ohne das der Ministerpräsident selbst davon wüsste. Anderswo nennt man das Filz oder Korruption, in Japan hingegen wird daraus eine Tugend. Sontaku eben. Oder vorauseilender Gehorsam.
Japan ist etwas Besonderes, keine Frage. Es ist eben eine Inselnation, die lange Zeit in freiwilliger Isolation verbrachte. Dass Japaner jedoch Farben und dergleichen anders wahrnehmen als andere Menschen, ist hanebüchener Blödsinn. Und ob das Überkippen ganzer Berge mit grauem Beton zum besonderen Naturverständnis der Japaner zählen soll, darf auch diskutiert werden. Das METI könnte deshalb auch gern mal eine andere, vielgerühmte Tugend anwenden: 謙虚 kenkyo. Bescheidenheit. Denn Japan hat auch ohne diese seltsamen Übertreibungen genug zu bieten. Da mache ich mir auch weniger Sorgen um die Ausländer, die dieses Pamphlet lesen – sondern mehr um die Japaner, die das lesen und womöglich alles glauben, was da drin steht. Denn merke: Es soll sogar Orte außerhalb Japans geben, in denen es vier Jahreszeiten gibt. Es soll Gerüchten zufolge auch andere Länder geben, in denen Gastfreundschaft wichtig ist. Und es soll sogar Länder geben, in denen das Essen schmeckt. Kaum zu glauben, aber wahr.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

9 Kommentare

    • Du meinst, die Japaner bleiben bei grün stehen, weil sie so höflich sind, dass sie immer noch anderen die Vorfahrt lassen? :D
      Vielleicht wolltst du aber auch auf das hinaus, was ich in meinem Kommentar geschriebne habe, hat sich leider überschnitten.

    • Nicht bei grün, sondern bei Rot! Das wird in Japan im Verkehr auch als grün bezeichnet. Kirschgrün, quasi. Anders kann ich mir das komplette Ignorieren roter Ampeln vieler Auto- und Mopedfahrer (Fahrradfahrer sowieso, aber das versteht sich ja von selbst) nicht erklären.

      • Nein, Grüntöne werden hier einfach der Farbkategorie „Blau etc.“ zugeordnet. Man darf „ao“ nicht einfach als blau übersetzen. Ich glaube, das ist schwer zu verstehen, weil wir kein ähnliches Beispiel in Farben haben.

  1. Vier Jahreszeiten? Boah ey!
    Zu schade, dass man damit prahlt, wo es doch mal einen japanischen Kalender gab, der in 3 oder 4 Tagesabschnitten „Jahreszeiten“ gemesssen hat, basierend auf der Blüte von verschiedenen Pflanzen.
    DAS wäre mal interessant gewesen. Zu blöd, dass ich das nicht wiederfinde, hätts mir speichern sollen.
    „Dass Japaner jedoch Farben und dergleichen anders wahrnehmen als andere Menschen, ist hanebüchener Blödsinn.“
    Nein, ist es nicht ;) Nicht so ganz jedenfalls.
    Es ist mit verschiedenen Völkern untersucht wurden: Die Wahrnehmung (nicht physikalisch, sondern sozusagen psychologisch) von Farben hängt von der Sprache ab, in der jemand denkt. Wer kein Wort für einen bestimmte Farbe/Farbton hat, kann diesen tatsächlich nicht „wahrnehmen“ – hat aber meinstens eine Reihe „angrenzender“ Farbtöne.
    Sehr häufig vor allem bei Meeresnahen Völkern ist z.B. die nicht-Unterschiedung zwischen dem, was wir Europäer grün und blau nennen. Gitbs sogar eine extra WP-de Seite für!
    https://de.wikipedia.org/wiki/Gr%C3%BCn_und_Blau_in_verschiedenen_Sprachen
    Über das bei Lernenden verhasste aoi wollen wir hier schweigen ;)

    • Nicht ganz präzise formuliert, richtig. Was gemeint war, ist, dass es Quatsch ist, dass „nur Japaner“ Farben anders wahrnehmen als andere. Dass die Wahrnehmung je nach kulturellem Hintergrund variiert, sollte klar sein. Leberwurstgrau ist nicht überall leberwurstgrau.

  2. Was mir dazu einfällt:
    – So was druckt doch jedes Land, sicherlich auch Deutschland. Das ist per Definition selbstkritikfrei. Und die Olympischen Spiele sind teuer und sollen sich doch lohnen.
    – Vier Jahreszeiten: Hey, uns steht doch in Japan bald die fünfte ins Haus! Warum wird die nicht erwähnt??? Die Regenzeit ist mir persönlich sogar noch lieber als der zu heisse und schwüle Sommer.
    – Rotlichtverstösse: Naja, immerhin fahren die wenigsten bei Knallrot, es fahren nur viele zu spät und manche zu früh. Was mich auf die Palme bringt, sind Zebrastreifen, die gelten hier gar nix! Vor allem bei Omas und bei Müttern mit Kinderwagen zeigen sich „Respekt vor dem Alter“ und „Gegenseitige Rücksichtnahme“, die können nämlich mal schön warten!
    – Aoi oder midori? Fragen sich die Japaner bei der Ampel auch selbst. Ich habe mal gelesen, dass „midori“ relativ neu ist und vor ca. 100 Jahren noch nicht gebräuchlich war. Finde ich jetzt auf die Schnelle nicht, aber z.B. das hier:
    http://blog.livedoor.jp/nazenani/archives/50013100.html
    Da steht, dass bei der Einführung von Ampeln 1930 „midori“ festgelegt wurde, die Leute haben aber eher „aoi“ benutzt. Witzigerweise leuchten manche LED-Ampeln eher türkisfarben oder eben „aoi“!

  3. Als kleine Anekdote möchte ich einstreuen, dass so manche Japanerinnen (meine Frau) zwar eingestehen müssen, dass es auch ausserhalb Japans Jahreszeiten hat, aber, so wird sogleich argumentiert, eigentlich ja auch nicht, denn man merkt den Unterscheid ja nicht und deswegen stimme es ja doch, dass es Jahreszeiten nur in Japan gäbe.
    Genau, dachte ich mir, so wird es sein.

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