Blog70 Jahre Kriegsende: Historisches

70 Jahre Kriegsende: Historisches

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Asahi-Shimbun vom 7. November 1937: Gefeiert wird der Beitritt Italiens zum Anti-Komintern-Pakt zwischen Japan und Deutschland
Asahi-Shimbun vom 7. November 1937: Gefeiert wird der Beitritt Italiens zum Anti-Komintern-Pakt zwischen Japan und Deutschland

Vor 70 Jahren endete der Zweite Weltkrieg endgültig – mit der Kapitulation Japans. Zum Jahrestag gab es einiges Bemerkenswertes: So kramte man bei der ARD noch einmal in den Archiven und recherchierte zu den Atombombenabwürfen, um so an einem Mythos zu rütteln: Dem Mythos, dass nur die Atombomben Japan in die Knie zwangen und, so paradox es klingen mag, dabei halfen, mehr Opfer unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden. Man hatte schliesslich an Okinawa gesehen, wozu Japaner fähig sind, wenn es um den Endkampf geht. Der Schlüsselsatz ist meiner Meinung nach die folgende Aussage:

Warum aber hat Japan nach Hiroshima nicht kapituliert? „Weil es für Tokio nur eine weitere zerstörte Stadt war“, sagt Sherwin. „Zuvor waren schon Dutzende andere zerstört worden. Was für das Kriegskabinett viel entscheidender war, war die Kriegserklärung der Sowjets.“

(Quelle: Siehe obiger Link). Richtig. Tokyo und nahezu alle mehr als mittelgrossen Städte des Kaiserreichs waren bereits nahezu komplett zerstört. Auch in Deutschland hatte die völlige Zerstörung der Städte nicht den gewünschten Effekt. Warum sollte die Zerstörung von Hiroshima und Nagasaki da plötzlich ins Gewicht fallen?
Mit viel Spannung wurde dann schliesslich Ministerpräsident Abes Rede zum Jahrestag erwartet. Der von mir sehr geschätzte Professor Zöllner hat die Rede umgehend ins Deutsche übersetzt und danach hervorragend zusammengefasst und kommentiert. Allzu viel will ich da nicht hinzufügen. Die Rede war ein merkwürdiger Spagat zwischen der Richtung, die Abe längst eingeschlagen hat, und dem, was das Volk und die Weltgemeinschaft im Allgemeinen erwarten. Natürlich gab es nach der Rede sehr kritische Stimmen aus Korea und China. Allerdings muss ich dazu sagen: Ich hatte Schlimmeres erwartet. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn Abe ordentlich aussenpolitisches Porzellan zerschlagen hätte, aber er tat es nicht.
Wie immer hielt auch der Kaiser eine Ansprache. Die ist jedes Mal ziemlich kurz, aber dieses Jahr fügte er das Wort 反省 hansei Selbskritik mit ein, und das war schon ein verhältnismäßig starkes Wort, das der Kaiser hier benutzte. Den Wortlaut der Rede findet man… genau, bei Prof. Zöllners „Kotoba“.

Glico-Werbung während des Krieges
Glico-Werbung während des Krieges

A propos: In der letzten Woche fand ich im „Heimatmuseum“ der Gemeinde 西之表 Nishi-no-Omote auf der Insel Tanegashima ein paar Ausgaben der Asahi-Shimbun aus Kriegszeiten. Die konnte man sich dort einfach so ansehen, und das ist relativ selten. Die Zeitungen damals waren voller Kriegsberichte und Brandreden gegen die Feinde, aber das kennt man ja vom Völkischen Beobachter. Was mich beim Betrachten alter Zeitungen aus Kriegszeitungen jedoch jedes Mal mitnimmt, ist die Werbung auch heute noch existierender Firmen. So zum Beispiel die Werbung von Glico, einem Süßwarenhersteller, dessen Logo sich in den all den Jahren nicht geändert hat. Slogan:

イマニ僕等モ征ク (imani bokura mo yuku) – „Bald ziehen auch wir los!“

und daneben die Aufforderung, eine gesunde, zweite kaiserliche Armee zu erziehen. Mit „nährhaften Süßigkeiten“ von Glico natürlich. Links oben steht dann noch die Aufforderung 慰問袋ニ何ヨリ – „gehört mehr noch als alles andere ins Heimatpaket“. Natürlich geschah das gleiche auch in Deutschlands Zeitungen. Aber es ist immer wieder schockierend, zu sehen, mit welcher Leichtigkeit Gesellschaften Kinder mit in den Krieg einbeziehen und somit eine ganze Generation aufs Spiel setzen. Mit kräftiger Unterstützung geschäftstüchtiger Firmen.

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tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

9 Kommentare

  1. Ich will gar nicht von Ihnen erwarten, daß Sie etwas anderes kennen, als das, was als die Geschichtsschreibung der Sieger gilt, aber glauben Sie ernsthaft, es hätte in den anderen kriegführenden Staaten keine Einflußnahme auf die Jugend gegeben, um diese zu patriotischen Soldaten zu erziehen? Man muß sich nur mal die Trickfilme aus den Kriegszeiten ansehen.
    Im Übrigen wissen Sie ja, als Japankenner, daß Japan im Weltkrieg Nr. 1 Verbündeter der Entente war und nur in Konflikt mit Amerika und England geraten ist, weil es glaubte, es könne sich denselben Landraub (in China) erlauben, den diese Länder schon zuvor erledigt hatten. England in Indien und Australien, die USA in den Kolonien Spaniens. Aber wenn Zwei dasselbe tun, ist es noch lange nicht das gleiche.

      • Deswegen irritiert es mich auch etwas, gelinde gesagt, daß mit dem heutigen Wissen und der heutigen Moralvorstellung der Stab über damalige Handlungsweisen gebrochen wird. Was sollen diese Firmen tun? Sich winselnd auf dem Bauch wälzen? Wem ist damit gedient?

        • Wer bricht denn den Stab? Tabibito sehe ich nicht, ist eher ein interessierter Blick. Kann es sein, daß sich Karl Edudard-san zu seiner Aussage hinreissen ließ, weil er in einem Land lebt in dem seit 70 Jahren jedem unbeteiligten Schüler Schuldbewusstsein und scheuklappenhaftes Gutmenschentum schon in der Schule eingeflösst wird?

        • Heutiges Wissen und heutige Moralvorstellungen? Wie alt sind denn Konzepte wie Demokratie und Humanismus? Die gab es damals schon. Trotzdem war möglich, was möglich wurde. Und es kann wieder möglich werden.
          Diese Firmen sollen sich deshalb natürlich nicht immer wieder winselnd auf dem Bauch wälzen. Eine firmeninterne Aufarbeitung der Vergangenheit ist jedoch nicht verkehrt, und Firmen wie Mitsubishi machen vor, wie es geht. Ob Glico zum Beispiel oder Dr. Oetker diesbezüglich etwas getan haben, kann ich nicht beurteilen — aber das steht ja in diesem, zugegebenermassen subjektiven und bewusst naïven Artikel, nicht zur Debatte.

  2. Das mit der Werbung schockiert zwar, aber war zu Kriegszeiten ja nicht ungewöhnlich, die Amerikaner und Engländer gingen ja nach ähnlichen Mustern vor. Ich finde es vor allem dahingehend immer wieder schockierend, wie viele Firmen heute noch so aktiv sind (z.b. Japan: Glico; Deutschland: Dr. Oetker)

    • Gute Frage. Allein das Wort ist schon ein Unwort, aber die Konnotation ist einfach nur sprachlicher Wahnsinn. Was sollen wir also anstreben? Schlechtmenschsein? Und das ist dann gut? Ich verstehe das nicht.

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