BlogRauer Ton im Krankenhaus

Rauer Ton im Krankenhaus

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In dieser Woche tauchte ein – anfangs zumindest heimlich aufgenommenes – Video bei YouTube auf, das momentan ziemlich hohe Wellen schlägt. Der Hintergrund: Ein brasilianischer Vater brachte sein krankes Kleinkind in die Notaufnahme eines Krankenhauses der Stadt Iwata in der Präfektur Shizuoka (dort leben sehr viele japanischstämmige Brasilianer). Die Ärzte schauten sich das Kind an und meinten hernach, das sei nichts Schlimmes, und der Vater solle am nächsten Tag noch mal bei einem regulären Arzt vorbeischauen. Daraufhin verlangte der Vater ein 診断書 shindansho – Attest, doch der Arzt weigerte sich, das Dokument auszustellen – mit der Begründung, so etwas gibt es in der Notaufnahme nicht.
Damit gab sich der besorgte Vater jedoch nicht zufrieden. Verständlicherweise. Wie sich später herausstellte, hatte er 5 Kinder, und eines der Kinder war bereits sehr jung verstorben. Und so redete er in brüchigem, aber höflichen Japanisch weiter auf den Arzt ein: „Was passiert nun, wenn es doch etwas Schlimmes ist?“ fragte er den Arzt, worauf jener lapidar „Dann verklag uns doch“ antwortete. Als der Arzt einen Anruf auf sein Handy empfing, gab er den Vater mit einem gemurmelten くそ野郎 kusoyarō (wörtlich: Scheißkerl) an seinen Kollegen weiter. Dabei fiel wohl auch das Wort 死ね (Verrecke!). Der Vater hatte dummerweise schon vorher die Kamera seines Handys angeschaltet, und so existiert alles schön auf Video.
Nach einer Weile kam eine Krankenschwester, die portugiesisch kann, hinzu und begann zu vermitteln. Der Vater offenbarte schliesslich, dass er filmte, und das ist dem Arzt sichtbar peinlich. Das ganze ist für den Arzt freilich ganz dumm gelaufen: Man kann davon ausgehen, dass er sich sicher war, dass der Zugewanderte die Schimpfwörter nicht versteht. Verstand er aber.
Ist das nun Fremdenfeindlichkeit? Schwer zu sagen. Aber eins ist es auf jeden Fall: Ein akuter Fall von flatus cerebri auf Seiten des Arztes. So redet man nicht. Nicht mit Patienten, egal ob sie die gleiche Sprache sprechen oder nicht. Und schon gar nicht mit dem besorgten Vater eines kleinen Kindes.

iwata-krankenhaus

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

6 Kommentare

  1. Ich bezweifle, dass der Arzt sich so etas bei einem japanischen Patienten, oder selbst einem Ausländer, der besseres Japanisch spricht, erlaubt hätte. Absolut unter aller Kanone, und ich hoffe, dass das für ihn Konsequenzen haben wird. Nun weiß man natürlich nicht, was vor dem Video passiert ist, aber allein die Körperhaltung des Arztes zeugt ja nicht unbedingt davon, dass hier jemand gewillt ist, zu helfen.

  2. Der Arzt in diesem Video ist vermutlich nicht speziell rassistisch sondern einfach nur wahnsinnig überheblich und arrogant, was auf viele japanische Ärzte scheinbar zutrifft. Meine Frau (Japanerin) ging vor ein paar Jahren mit ihrer Grossmutter in Japan zum Hautarzt. Da die Grossmutter leider nicht mehr so klar im Kopf war, nuschelte sie auf die Fragen des Arztes halt teilweise unverständliches und sinnloses Zeug. Der Arzt wurde wütend und meinte so könne er nicht arbeiten. Meine Frau die daneben stand, stauchte darauf den Arzt zusammen und meinte, es gebe auch noch andere Ärzte in dieser dieser Stadt und das er schlussendlich Dienstleister sei und etwas höflicher mit seiner Kundschaft umgehen könnte. Der Arzt war total baff und wusste nichts mehr zu sagen. Meine Frau stand auf, nahm die Grossmutter an der Hand und verliess die Praxis. Der nächste Arzt war Gott sei dank etwas sensibler :-)

  3. Dsa deckt sich so ziemlich mit dem, was ich so bisher an Erfahrungen mit japanischen Krankenhäusern und Ärzten in der Familie hier gesammelt habe. Die Oma meine Mannes ist die Treppe runtergefallen und wurde ins Krankenhaus eingeliefert. Man benahm sich ihr gegenüber dort so unhöflich, dass irgendwann mein Schwiegervater dort vorbeischauen und ein paar Leute zur Rechenschaft ziehen musste. Sie wurde angeranzt, wenn sie auf Toilette musste, weil sie ja Hilfe dabei brauchte, und hörte dann einfach auf zu trinken. Dann wurde sie angeranzt, wenn ihr bei den Laufübungen schwindlig wurde – Kunststück, wenn man nichts trinkt, weil man sich nicht auf die Toilette traut! Und sie ist Japanerin, das hat die also auch nicht gnädiger gestimmt.
    Natürlich will ich nicht sagen, dass alle Krankenhäuser und alle Ärzte so sind, aber so ein arroganter Götterkomplex scheint sich hier auch nach eigener Erfahrung mit verschiedenen Ärzten schon ein wenig durch ihre Reihen zu ziehen … -.-‚

  4. Ich finde wie Claudia auch, dass er sich das wohl bei einem Japaner nicht getraut hätte bzw. bei jemandem, von dem er weiß, dass er zu 100% Japanisch versteht.
    Der Arzt ist zwar ein Arsch, aber nicht lebensmüde.
    Diese Aktion war jedenfalls unter aller Sau! :(

  5. Üble Reaktion des Arztes. So einer gehört ins Labor. Habe ich hier in Japan mit meiner Tochter auch schon so ähnlich erlebt. Der Doc wollte einfach nicht…Ist aber nichts was nicht auch in Deutschland passieren würde. Habe mit meiner Frau schon sehr üble Erfahrungen mit Pflegepersonal und Sprechstundenhilfen gemacht. Das mit der Videoaufnahme ist eine gute Idee…

  6. Das Video ist inzwischen privat. Der Grund dafür würde mich mal interessieren.
    2ch hat den Arzt samt Facebook-Konto wohl „ausfindig“ gemacht und direkt anhand des Nachnamens als koreanischen Zainichi identifiziert (aber wann tun die das mal nicht, sobald sich ein Japaner in der Öffentlichkeit daneben benimmt). Der gute Mann kann einem inzwischen wohl Leid tun. Gesellschaftlicher Suizid nennt man das wohl.

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