BlogDer 500-Euro-Ranzen

Der 500-Euro-Ranzen

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Eigentlich ist das Aufziehen von Kindern in Japan gar nicht so teuer. Wenn man mal davon absieht, dass für viele das vorher oft vorhandene zweite Einkommen gänzlich wegfällt und die lieben Kleinen einem nach und nach die Haare vom Kopf fressen. Die Geburt ist quasi kostenlos (man bekommt das Geld zurückerstattet), die medizinische Grundversorgung ist kostenlos, viele kulturelle Anegbote, Bahnfahrten und Einittskarten sind kostenlos, und staatliche Bildungseinrichtungen wie Kindergärten und Schulen sind kostenlos.
Was im Kleingedruckten nicht steht, sind all die versteckten Kosten: Irgendwie bezahlt man doch für den Kindergarten, in unserem Fall um die 50 Euro „Materialkosten“, und für diverse Kurse, sogenannte 習い事, damit die Kleinen Schwimmen, Tanzen, Ballett, Piano oder was auch immer so anliegt, lernen können. Dort fallen natürlich Kursgebühren an (was bei normalen Sachen schnell um die 100 Euro pro Monat kostet), plus Extraausgaben für Kostüme, Pinsel oder was auch sonst immer notwendig wird. Gelegentlich finden sich dann kleine Bekanntmachungen im Kindergarten, wo dann der Kindergarten mal eben 80 Euro „Photogebühren“ einsammelt, damit irgendein semiprofessioneller Photograph auf den Veranstaltungen den Kindern beim Staffellauf den Weg versperrt und das Ergebnis in Buchform beim Kindergartenabschluß überreicht werden kann (im Prinzip sind diese meist recht gut gemachten Bücher freilich eine prima Erinnerung). Hinzu kommen allerlei anderen ausserplanmässigen Kosten.

Hier mal ein 600-Euro-Ranzen
Hier mal ein 600-Euro-Ranzen (erhältlich hier)
Generell gilt, wie sicher anderenorts auch, je größer die Kinder desto teurer. Das kulminiert später in den horrenden Gebühren für die Universitäten, aber bis dahin habe ich noch einen weiten Weg. Vorher gilt es aber erstmal, das Kind einzuschulen. Dazu braucht Kind einen Ranzen, im Japanischen ランドセル Randoseru genannt. Man könnte fast meinen, das stammt vom Wort „Landser“ ab, es kommt vom niederländischen „Ransel“. Die „Ransel“ werden dabei nur in der Grundschule getragen – also im Alter von 6 bis 12 Jahren. Das umwerfende an den Landsern: Der Durchschnittspreis von rund 500 Euro. Wie gesagt, wir reden von einem Schulrucksack, leer! Der wahrscheinlich am zweiten Schultag durch die Gegend getreten wird. In sehr vielen Familien übernehmen die Großeltern mehr oder weniger gern (in unserem Fall glücklicherweise gern) diese veritable Anschaffung, und das scheint es auch zu sein, worauf das ranzenproduzierende Gewerbe aus ist. Nicht wenige Kinder in Japan haben sechs Taschen (シックスポケット – 6 pockets): Sie werden von den Eltern + 2 x Großeltern = & Erwachsene versorgt, und da fallen 500 Euro nicht weiter auf. Wer allerdings 3 und mehr Kinder hat oder gar alleinerziehend ist, muss sich irgendwie durchbeißen oder weit über Durchschnitt verdienen, denn bei all den Kosten machen die 150 Euro Kindergeld den Kohl nicht fett. Zumal das Gros der Eltern natürlich das Kindergeld lieber spart, um später Nachhilfestunden und die Uni bezahlen zu können.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

11 Kommentare

  1. o_O bitte nicht falsch verstehen aber irgendwie kommts mir so vor als wenn Leute die Kinder bekommen „bestraft“ würden.
    Glaub du hattest auch mal nen Post gemacht über Schulbücher und deren Kosten kann das sein? bin mir da gerade nicht mehr sicher
    ein Paradies für Eltern und ihre Kinder scheint Japan in finanzieller hinsicht jedenfalls nicht zu sein.

    • Geht man vom Materiellen aus – und das ist ja häufig der Fall – eindeutig ja. Solange man nicht sehr gut verdient, muss man mit Kindern lernen, auf vieles zu verzichten. Das geht in Ordnung, denn man bekommt ja wesentlich mehr, materiell nicht messbares, zurück. Seltsam ist es eben nur, dass eine Gesellschaft, in der Kinderlosigkeit zu einem gewaltigen geselschaftlichen Problem heranwächst, das Heranziehen von Kindern indirekt sanktioniert.

  2. Also in vielen anderen Ländern wie die USA, England, etc. sind die Kosten genauso. Man zahlt fürs Kleingedruckte.
    und indirekt zahlen wir es hier ja auch.
    Was mich interessiert ist, ob es solche Schulranzen auch günstiger gibt, z.b. von „Billigfirma“ oder subventioniert für arme leute.
    grüße

  3. Ja, ich habe auch Ranzen für 200 Euro, und ich glaube auch für gut 100 Euro, gesehen. Und gebrauchte gibt es sicherlich auch. Doch die Hemmschwelle dürfte vor allem in Japan sehr gross sein, sein Kind mit einem „billigen“ oder gar „gebrauchten“ Ranzen in die Schule zu schicken – ich bin mir sicher, dass das Kind das auf die eine oder andere Weise zu spüren bekommt.

    • Und importieren? Bei uns kosten die Schultaschen doch auch nicht so viel und sehen besser aus als das Bild oben. Irgendwas versteh‘ ich da wohl falsch… -.^

      • Das würde funktionieren, wenn man die WAHL hätte- das hat man aber nicht, Schuluniformen existieren nicht grundlos in Japan; jede Schule hat ihre eigene Uniform. So kann man erkennen, an welche Schule der Schüler geht. Das gilt auch für die Taschen: Auch diese kann man zumeist den Schulen zuordnen. Natürlich fänden es die japanischen Kids unglaublich cool, eine Tasche aus dem Ausland haben zu dürfen, mit deutschen Stiften wird auch mal gern angegeben („Kuckmal, Herlitz!“). Aber die Schulordnung schreibt sehr genau vor, was getragen werden darf und was nicht.

  4. Jaja, was wir doch Glueck haben in „inaka“ zu wohnen!!
    Sollte es denn mal dazu kommen, dass sich noch (einmal) Nachwuchs ankuendigt, an unseren Hauptschulen gibt es keine „Landser-Verordnung“! Auch Schuluniformen sind abgeschafft, jeder darf tragen, was er oder sie will ….. im Ramen der „freiheitlich-demokratischen-Grundordnung, versteht sich“ *_*!!!
    Aber es stimmt schon, die (nicht nur) Bildungspolitik foerdert bestimmt nicht die Bereitschaft mehr „Zukunfts-Bruttosozialprodukt-steigernde-Nachfolger“ bereitszustellen. Na, wir werden sehen, evtl. macht die neue japanische Regierung doch noch etwas – ich meine, die 6-Tage-Schulwoche ist ja bereits im Gespraech *~*.

  5. Hallo,
    Also, ich finde diese japanischen Schulranzen völlig super. Ich hatte mir, obwohl wir in Deutschland leben, überlegt so ein Teil mal mitzubringen (fahre gelegentlich geschäftlich nach Japan). Bin aber bei dem Preis fast hinten über gefallen und hab das gelassen…
    Ich finde auch in Deutschalnd die teilweise über 200 EUR, die man ausgibt völlig überzogen. Und dabei gefielen mir die Teile noch nicht mal. Die Kinder sehen damit aus wie Spongebob. Unsere Tochter hat dann eine Art Tourenrucksack bekommen, der allerdings auch sehr teuer war (als Shulranzen konzipiert). Dafür findet sie ihn absolut klasse und bleibt nicht an jeder Tür damit hängen.
    Meine Frau ist Engländerin, dort bekommen die Kinder eine kleine mappe mit ein paar Stiften, kostet ca 10 Pfund und wiegt nichts (von wegen Rückenschäden).
    Stell Dir mal die Kommentare vor von ihr…

  6. Irgendwo habe ich einmal gelesen, ein Kind würde bis zur Volljährigkeit ca. 500.000,00 € „kosten“. Wenn man sich darüber Gedanken macht, sollte man es lieber bleiben lassen. Allerdings wird man so vieles, was schon unser Reisender hier angemerkt hat, materiell nicht messbares versäumen. Das einzige, was ich hin und wieder vermisse, ist Schlaf, ansonsten bin ich mit meinen beiden Kindern sowie der zugehörigen Mama sehr glücklich – egal was es kostet ;-)

  7. Falls jemand einen preisguenstigen, stabilen Ranzen in Japan sucht, empfehle ich Mujirushi.
    Wir haben 2006 dort einen Schulranzen fuer unsere Tochter gekauft, fuer 6800 Yen (nach dem jetzigen Kurs vielleicht 85 Euro?), schoen leicht und geraeumig, und stabil auch – im Moment benutzt ihn unsere zweite Tochter!

  8. Auch in Deutschland zahlt man mal locker 200,00 Euro für einen Ranzen. Aber wenigstens ist dabei Federmappe, Trinkflasche, Turnbeutel usw. enthalten. Wenn man bedenkt, dass man hier im Schnitt 100,00 Euro pro Monat für den Kindergartenplatz blechen muss (zzgl. Getränke, Speisen, Material, Zahnbürste, Photograph usw.), könnte man ja meinen, dass die Japaner dieses Geld ja bereits „gespart“ haben. Wie auch immer, ich denke, dass unter`m Strich etwa die gleiche Summe zustande kommt. Das einzige, was ich noch mit auf den Weg geben möchte, ist daran zu denken, dass das Ranzengewicht von 10 bis 15 Prozent des Körpergewichts des Kindes nicht überschreiten sollte…

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