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20120615-204652.jpgJeden Morgen fahre ich mit dem Fahrrad zum Bahnhof, und jeden Morgen fällt es mir ins Auge – gleich hinter der ersten Kreuzung, am Straßenrand einer kerzengeraden, über einen Kilometer langen Straße: Ein kleiner Korb vor einem Baum, direkt am Bordstein. Im Korb: Ein Strauß frischer Blumen. Ein Hund aus Keramik. Und eine Ultraman-Figur, vom Wetter gegerbt. Vor dem Korb liegt ein Stein, und auf dem Stein steht eine leere Flasche eines beliebten Kindergetränks.
Seit 2005 wohne ich in der Gegend, und seit 2005 kenne ich den kleinen Altar. Meine Frau lebt schon wesentlich länger da, und meint, das steht da schon immer. Man braucht nicht viel Phantasie, um den Zweck zu erahnen. Hier wurde ein kleines Kind, offensichtlich ein Junge um die sechs Jahre alt, totgefahren.
Ich fand die vielen Holzkreuze am Wegesrand brandenburgischer Alleen schon immer sehr bedrückend. Dieser kleine Altar ist noch bedrückender, und die Tatsache, dass auch nach Jahrzehnten dort immer frische Blumen stehen, macht den Anblick nicht leichter. Mit einem Blick weiß man, womit der Junge am liebsten spielte, was er gern trank und dass die Familie einen Hund hatte. Dieses Leben wurde offensichtlich abrupt beendet. Und das kleine Mahnmal sagt mir jeden Tag, was wirklich wichtig ist. Das Leben.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

11 Kommentare

  1. das lesen von dem blog eintrag macht diesmal echt traurig finde ich, aber es kann nicht immer sonnenschein sein leider, sowas gehört auch zum leben dazu

  2. Mein erster Gedanke war, dass so ein Altar in meiner Wohngegend keine Chance hätte. Irgendwelche Idioten hätten die Dinge daraus entweder geklaut oder zerstört.
    Wie schön, dass die Einwohner deines Stadtteils so respektvoll mit dieser Form der Trauer umgehen (hier wäre doch niemand hinter den tieferen Sinn gestiegen -.- )!
    Gruß aus Deutschland, Lisa

  3. Ja, hast zwar recht, aber… Ich war immer wieder erstaunt wie häßlich diese Altare doch erscheinen. Blumen mit braunem Tape an eine Strassenlaterne geklebt, auf einem alten Stuhl aufgestellt, oder wie in Deinem Beispiel eben in einer Plastikfaltkiste…

  4. Finde es toll wenn dort nichts gestohlen, beschädigt oder einfach als Müll mitgenommen wird. Bei uns muss alles angeschraubt werden.^^

  5. Hier um die Ecke (Köln-Sülz) steht auch schon seit Jahren ein solchen Straßenschrein, direkt an einer Ampel einer gut befahrenen Kreuzung aufgebaut. Wider Erwarten meiner Vorredner rührt den aber niemand an – liegt aber vielleicht auch nur daran das Köln so eine tolle Stadt ist :)

    • Vielleicht wird auch bei Schreinen mehr Rücksicht genommen. Aber im Allgemeinen gibt man bei uns Eigentum mit dem unbeaufsichtigten und ungesichterten Abstellen im öffentlichen Raum auf, ohne Hoffnung es jemals wiederzusehen. ;-)

  6. […] 3. “Wertvoll” (www.tabibito.de, tabibito) tabibito berichtet von einem kleinen, persönlichen Schrein den er bereits vor Jahren auf dem Weg zum Bahnhof entdeckt hat. Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat hinterlassen Sie uns doch einen Kommentar oder abonnieren Sie unseren RSS Feed um auf dem Laufenden zu bleiben!Diese Artikel könnten Sie auch interessieren: […]

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