BlogSicherheitsgesetz durchgeprügelt - was nun, Abe?

Sicherheitsgesetz durchgeprügelt – was nun, Abe?

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Ministerpräsident Abe hat gestern ernst gemacht und wie schon seit geraumer Zeit angekündigt das Sicherheitsgesetz im Unterhaus durchwinken lassen¹. Kein Problem dank einer satten Mehrheit seiner Partei. Während der Verkündung des Ergebnisses kam es zu tumultartigen Zuständen im Unterhaus – fühlten sich doch die Vertreter der Opposition quasi übergangen. Am Abend kam es schliesslich zu einer grösseren Demonstration vorwiegend junger Japaner vor dem Parlamentsgebäude.
Doch was wird nun passieren? Ohne das Gesetz war es Japan nicht erlaubt, militärisch aktiv zu werden – so lange es nicht, und das ist wichtig zu wissen – direkt angegriffen wird. Das wird durch den Pazifismusartikel in der Verfassung so bestimmt. Und das wurde und wird von vielen falsch verstanden, denn Japan war und ist durchaus berechtigt, sich militärisch zu verteidigen. Das neue Sicherheitsgesetz besagt „lediglich“, dass Japan jetzt auch im Bündnisfall aktiv werden darf. Das ist natürlich keine Neuheit für Bewohner von zum Beispiel NATO-Mitgliedsländern, doch für Japan ist das natürlich ein wesentlicher Unterschied.
Also: Cui bono (Wem nützt es)? Und warum jetzt? Natürlich hat man hauptsächlich China im Auge, das ja nun schon seit Jahren seine Grenzen in Ostasien auslotet – egal ob mit Japan, Südkorea, den Philippinen oder Vietnam. Wäre bisher zum Beispiel ein amerikanisches Schiff ausserhalb des japanischen Hoheitsgebietes von einem chinesischen Flugzeug angegriffen worden, hätte Japan rein gar nichts machen können, um militärisch beizustehen – wegen der Verfassung. Aber halt… die Verfassung ist doch noch die selbe? Richtig. Obwohl vielfach, sogar in den eigenen Reihen, davor gewarnt wurde, dass das Sicherheitsgesetz gegen die Verfassung verstösst, wischte Abe diese Bedenken einfach beseite. So als ob es die Verfassung gar nicht gäbe. Er hat es damit tatsächlich geschafft, selbst erzkonservative Vertreter der Intelligentsia gegen sich und das Vorhaben aufzubringen. Vom gemeinen Volk ganz zu schweigen.
Es gibt so viele Ungereimtheiten bei diesem Gesetz und der Vorgehensweise, dass man sich wirklich wundern muss. Das ganze ergibt eigentlich nur einen Sinn, wenn man sich vorstellt, dass die USA Abe dazu gedrängt hat, für den Bündnisfall vorzusorgen. Im Gegenzug macht die USA vielleicht Zugeständnisse bezüglich ihrer heftig umstrittenen Militärstützpunkte auf Okinawa – seit Jahren ein gewaltiger innenpolitischer Zankapfel. Ob dem so ist, wird sich wahrscheinlich in den nächsten Monaten herausstellen, denn das Projekt der Umsiedlung des Stützpunktes Camp Schwab nach Henoko geht in seine heisse Phase – man will den Stützpunkt nämlich gänzlich los werden.
Es fielen vorher Argumente wie „was Japan macht, ist einfach nur Realpolitik“ oder „es ist ja nicht so, dass Japan dann in Bälde China angreift“. Nein, das ist natürlich nicht zu erwarten. Aber an der Verfassung und am Volk vorbei Gesetze zu erlassen ist etwas anderes. Interessant wäre dabei auch noch ein Interview, dass Abe just heute zum Thema überteuertes Olympiastadion gab: „Man müsse der Sache auf den Grund gehen, denn man muss schon darauf hören, was das Volk sagt“. Sagt Abe. Ausgerechnet Abe, dem es erklärterweise völlig egal ist, was Volk (und Gelehrte) zu seinem Gesetzesentwurf sagen.
Wer mehr zum Thema lesen möchte, dem sei dieser exzellente Artikel zur Lektüre empfohlen: The Daily Beast: Are These the Last Days of Japan’s Prime Minister Abe?.
Und für die Japanisch-Kenner oder -Lernenden auch noch zwei Schmankerl: Parodie auf „Der Untergang“ (in Originalsprache — die Untertitel nehmen Bezug auf Abe):

Und dann wäre da noch „Akari-chan“, die das Sicherheitsgesetz auseinandernimmt:

¹ Siehe Tagesschau.de: Gegen die Verfassung und gegen das Volk

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

5 Kommentare

  1. Tabibito, in einem Deiner früheren Posts hier auf Deinem Blog hattest Du geschrieben (ich glaube das Post drehte sich um einen Reisebericht nach Okinawa), daß die japanische Verwaltung auch nach der Rückgabe der Kontrolle 72 die Bebauung nahe Futenma nicht verhindert bzw. teilweise sogar explizit nahe daran Baugebiete ausgewiesen hat.
    Da hatte ich mal ausgiebig nach Belegen für gesucht, aber so überhaupt nichts zu gefunden… Worauf basierte Deine damalige Einschätzung (nicht das ich die anwzeifle, aber wenn man mit Japanern drüber redet…)

    • Belege dafür braucht man eigentlich nicht. Ich bin ja damals explizit in die Gegend gefahren und habe mir das ganze angesehen: Da gibt es wirklich Schulen, Kindergärten, Wohngebiete usw. direkt neben den Stützpunkten — und die waren alle jünger als der Stützpunkt selbst.
      Da man in Japan auch nach FNP (Flächennutzungsplan) baut, kann eine neue Schule dort nur bedeuten, dass das Gebiet als ein Gebiet ausgewiesen wurde, in dem auch Schulen gebaut werden dürfen.
      Im Japanischen Internet findet man eigentlich recht gute Informationen bezüglich der FNP – bei Futenma zum Beispiel auch öffentlich einsehbare Karten, wenn man nach 宜野湾市 土地利用計画 sucht.

  2. Ich glaube, dass nicht nur in Japan Gesetze erlassen werden die mit der Vefassung sich ueberschneiden. Dieser Gesetz hier hat wahrscheinlich eine positive Seite jedoch muesste dabei auch etwas im Grundgesetz geaendert werden oder nicht?

    • Richtig — die Verfassung kann und – in diesem Fall müsste – geändert werden. Ein Gesetz durchzudrücken, das so klar verfassungswidrig ist, zeugt jedoch entweder von grosser Not oder politischem Dilettantismus.

      • Oder von dem eventuellen Druck, unter dem Abe steht.
        Vielleicht trügt mich meine Erinnerung, aber ich hatte den Eindruck, dass die pazifistische Verfassung Japans den Amerikanern schon eine ganze Weile ein Dorn im Auge ist. So etwa seit dem Koreakrieg.

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