BlogGaijin (=Ausländer) der Woche

Gaijin (=Ausländer) der Woche

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Vorgestern war ich mit meiner Tochter „in der Stadt“. Nun gut, alles ist hier Stadt, aber ich meine da, wo die vielen Läden sind. Zurück ging es am Rathaus vorbei. Dort stand überall Polizei mit mobilen Strassensperren und Funkgeräten herum, bereit, die Strassen abzuriegeln. Aha, ein VIP kommt wohl zum Rathaus!
Am Rathaus ging es vorbei zum OK – ein grosser Supermarkt. Dort schnell Lebensmittel für die kommenden Tage eingekauft, und weiter ging es, vollbepackt, mit dem Fahrrad nach Hause. Wir kommen an der Kreuzung vor meinem Haus an und ich fahre nach rechts über die Strasse – die Ampel ist grün. Naja, eigentlich blau, denn hier ist Japan. Von hinten biegt auf einmal ein Bus rechts ein – und fährt direkt vor meiner Nase über den Fussgängerüberweg. Obwohl blau ist. Und ich ob der Lasten ziemlich langsam fahre. Noch überlege ich, ob ich etwas von den Einkaufssachen nehmen und hinterherwerfen soll, aber kurz hinter dem Bus biegt plötzlich eine fette schwarze Limousine mit ziemlicher Geschwindigkeit vor mir ein. Der behandschuhte Chauffeur hat noch genug Zeit, mir aus dem Fenster ein „Tut mir wirklich leid, @*$#!“ (der Rest war unverständlich) zuzurufen. Ihm folgten, ebenfalls ziemlich schnell, eine Polizeistreife und dahinter nochmal der gleiche Bus, voll mit Studenten. In der Eile habe ich mir den Namen der Universität leider nicht gemerkt.
Wer das war, wusste ich in dem Moment nicht. Musste aber offensichtlich jemand ganz Wichtiges gewesen sein. Über der ganzen Szenerie kreiste nämlich auch die ganze Zeit ein Hubschrauber. Und siehe da – gerade nochmal gegoogelt, und wer sagt’s denn: Ministerpräsident Kan hätte mich da mit seiner Entourage beinahe über den Haufen gefahren.
Wie ich in dem Moment wohl ausgesehen habe – ich kann es mir nur schwer vorstellen. Ein grosser Ausländer mit sehr, sehr kurzen Haaren. Vorn am Fahrrad zwei Einkaufsbeutel. Im Korb vorne ein ziemlich grosser, prallgefüllter Rucksack. Ein T-Shirt wie von Lacoste, mit dem kleinen Unterschied, dass das Krokodil auf dem Rücken liegt und auch nicht „Lacoste“, sondern „Okosite“ (japanisch für „weck mich auf“) draufsteht. Hinten auf dem Kindersitz eine 4-jährige mit rosa Helm, die permanent Grimassen schneidet. Von meinem Gesichtsausdruck, der wahrscheinlich irgendwo zwischen Erstaunen und Wut lag – bestimmt von einem offenstehenden Mund (nein, nicht sabbernd) dominiert – ganz zu schweigen. Ich war mir sicher: Ich bin bestimmt der Gaijin der Woche.
Und die Moral von der Geschicht‘: Ampeln gelten nicht für alle. Je nach Wichtigkeit sind Farben Auslegungssache.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

8 Kommentare

  1. Ein witziger Beitrag, der einen zum schmunzeln bringt.
    Worüber ich lache, war für dich sicherlich nicht angenehm, denn es hätte ja was passieren können.
    Wie gut, das euer Schutzengel über euch gewacht hat.

    Gruß menzeline

  2. Vielleicht wäre das garnicht so schlecht gewesen ;-) Kan überfährt ausgerechnet einen Deutschen. Das hätte den Atomkrafgegnern Aufwind gegeben ^^

  3. Und haufenweise Kinder werden durch den Regen gescheucht (Deutschland hat jetzt auch eine Regenzeit), nur um dem japanischen Kronprinzen hinterherzuwinken.
    Ja, Japan, Land der Gleichen…

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